N Machtmenschen
Utscheru Neuübersetzung vorliegende französische Romane e ean Prévost erzählen von Untergegangenem.
preisträger. Dieses Übertöntwerden ist besonders bedauerlich im Fall von Eugène Dabits Hôtel du Nord von 1929, das Marcel Carné 1938 mit Louis Jouvet und der Arletty sehr frei verfilmte. Dabit, Autor bei Gallimard wie auch Prévost, widerfuhr nach seinem frühen Tod Ende August 1936 – er starb während einer Rundreise durch die stalinistische Sowjetunion, die ihm, dem unkämpferischen Sozialisten, die Sprache verschlagen hatte, auf der Krim an Typhus – mit gerade einmal 38 Jahren Ähnliches wie ein Jahrzehnt später Prévost: Sein Werk wurde vergessen, nahezu ein halbes Jahrhundert lang.
Dabits Roman ist eine Zeitreise. Zurück in ein Paris, präziser in das zehnte Arrondissement, in dem die großen Boulevards, die Parks, die großbürgerlichen eleganten Stadtpalais weit, weit entfernt sind. Vielmehr trifft man vor und in dem Hôtel du Nord am Quai de Jemmapes Rosskutscher an, Gepäckträger, Dienstmädchen, Armenhäusler.
Der Gastraum als Wohnzimmer
Es ist das Paris der kleinen Leute, der Proletarier ohne proletarisches Bewusstsein. Das Etablissement, das das Ehepaar Lecouvreur als Novizen im Gastgewerbe zu Beginn des Buches übernimmt, ist ein billiges Wohnhotel mit kleinen möblierten Zimmern ohne Komfort oder Heizung, dafür mit WC auf dem Gang. Handwerker, einfache Angestellte und Fabrikschlosser mieten sich ein. Der Gastraum ist ihnen Wohnzimmer mit sozialer Anbindung. Getrunken, geplaudert und ausdauernd Karten gespielt wird hier.
Dieser Roman, Dabits bis heute bekanntester und langlebigster, ist ein warmes Buch, ein menschliches und ein humanistisches, dabei durch und durch konkret. Sofort wird man hineingezogen. Dabits Eltern leiteten seit 1923 das reale Hôtel du Nord, er half als Nachtwächter aus. Und beobachtete. Große Sympathien hegt er für seine Figuren. Und das sind gar nicht wenige. Im Gegenteil: eine ganze Kavalkade. Eine Abfolge an Ereignissen setzt ein, Abstürzende, die wie zwei Dienstmädchen naiven Auges in ihr Lebensunglück laufen und auf dem Strich enden, Ehen, die an Kälte zugrunde gehen, Arbeiter, deren materielle Besitztümer einen Koffer füllen. Es gibt Affären und Todesfälle und Feiern, auch die Jagd auf Homosexuelle und den Einbruch der Politik in Gestalt von Anarchisten. Allein war Dabit mit einem solchen Hotelkaleidoskop nicht, Joseph Roth, Vicki Baum, Arnold Bennett erzählten zur selben Zeit davon, allerdings eher von Grand Hotels.
Das ist fern jeglicher Folklore, fern aller Paris-Klischees. Vin rouge und Aperitifs werden zwar getrunken, aber nur zum Kartenspielen. Und zum Vergessen. Dafür gibt es Vergewaltigungen, Verstörungen, grassierende Verzweiflung, blanke Not. Es ist ein Mikrokosmos, den Dabit mit festem, sicherem Strich umreißt, der mit dem Zweiten Weltkrieg und dann mit der Konsum- und Mediengesellschaft der 50er- und 60er-Jahre ausradiert wurde und endgültig verschwand. So wie das reale Hotel, das fast demoliert worden wäre.
Die Eltern Dabits konnten es noch bis 1943 betreiben, dann mussten sie aufgeben. In den folgenden 50 Jahren wäre das Gebäude mehrfach ums Haar rabiaten Quartierumbauplänen zum Opfer gefallen. Seit 1993 steht es unter Denkmalschutz. Infolge des (im Studio gedrehten) Films von Carné ist es Anziehungspunkt cinephiler Touristen. Sie wie wir anderen sollten aber viel mehr und viel intensiver diese von Julia Schoch, die auch ein informatives Nachwort beifügte, sehr gut übersetzte Epopöe des Volkes – im Jahr 2012 wurde der 1929, im Erscheinungsjahr von Hôtel du Nord, gestiftete Prix du roman populiste, für volkstümliche Romane, dem ersten Preisträger zu Ehren umbenannt in Prix Eugène Dabit du roman populiste – lesen. Immer wieder.
Eugène Dabit, „Hôtel du Nord“. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Julia Schoch. € 20,60 / 224 Seiten. Schöffling, Frankfurt/Main 2015
Jean Prévost, „Das Salz in der Wunde“. Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky. Mit einem Nachwort von Joseph Hanimann. € 25,70 / 288 Seiten. ManesseVerlag, München 2015 beiden Jahrzehnte fallen – je nachdem, wer zu Wort kommt, ob aus Redaktionsräumen oder Vorstandsetagen – zuversichtlich bis sorgenvoll aus.
Einig sind sich die Beitragenden, dass Qualitätsmedien wichtig sind. Aber was Qualität ausmacht und wie sie erhalten werden kann, ist sehr strittig. Für Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender bei Axel Springer, „wird der Leser zum Vorgesetzten des Redakteurs. Der User sagt dem Journalisten, was ihn interessiert.“Zugleich geht er davon aus, dass die Nutzer sowieso das Bedürfnis haben, qualifiziert informiert zu werden, egal durch welche Kanäle. „Der Geist bestimmt die Materie“, formuliert er es wie den Versuch eines späten Siegs über den Marx’schen Materialismus.
Dem halten zwei Medienprofis entgegen, dass Springers profitabelstes Medium Bild seinen Erfolg durchaus traditionellen Mitteln wie Nötigung und dem Dreschen von leerem Stroh verdankt und nicht neuverteilten Rollen in der digitalen Welt (so Hans Leyendecker von der Süddeutschen); bzw. dass der Hamburger Verlag solch klickbaren Mischungen aus „nötigen und unnötigen Nachrichten“wie BuzzFeed mit seinen Listen und Links als Vorbild hat, denen gegenüber Qualitätsmedien bereits das Nachsehen haben (Cordt Schnibben, Spiegel- Reporter und Gründer des Reporter-Forums). making“werde immer gefragt sein. Alice Schwarzer legt noch eins nach, indem sie über die andauernde Relevanz von Kampagnen in der von ihr gegründeten Emma spricht.
Es sind durchwegs deutsche Medienprofis, die hier zu Wort kommen, doch die Relevanz für österreichische Zustände ist kaum zu übersehen, wenn es etwa um Politiker geht, die die Rituale der Tabloids mitspielen und glänzend beherrschen; oder wenn davon die Rede ist, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag bestimmter Medien ausgehöhlt wird und diese damit für eine kritische Gegenposition zu den Postillionen des „ungesunden Menschenverstands“verlorengehen. (Das Radio wird übrigens nicht einmal erwähnt).
Welche Zukunft hat der Journalismus? Diese Frage kann der Sammelband nicht schlüssig beantworten. Doch die Ansichten und Absichten der zu Wort kommenden Redner stecken zumindest das Feld ab, in dem wache Konsumenten sich orientieren können.
Bernhard Pörksen und Andreas Narr (Hg.), „Die Idee des Mediums. Reden zur Zukunft des Journalismus“. € 20,60 / 224 Seiten. Herbert-vonHalem-Verlag, Köln 2015