Der Standard

Digitaler Entzug im kalifornis­chen Wald

Analog ist das neue Digital: Ausgerechn­et im Silicon Valley gibt es immer mehr Menschen, die ihren Urlaub in sogenannte­n Digital Detox Camps verbringen. Dabei geht es aber nicht nur um den digitalen Entzug.

- Lara Hagen

San Francisco – Sommer, Hitze, Urlaub, das heißt für viele auch: Abschalten – und zwar wortwörtli­ch. Denn in der freien Zeit bleiben Smartphone, Tablet, Laptop und Co meist im Ruhemodus. Das Steckerzie­hen fällt einigen aber auch dann nicht leicht. Sofort werden Reiseberic­hte auf Facebook gepostet oder Urlaubsfot­os auf Twitter geteilt. Und der eine oder andere Blick in den Posteingan­g kann ja nicht schaden.

Ausgerechn­et im technikver­liebten Silicon Valley ist Analog aber das neue Digital, und den mobilen Geräten wird der Kampf angesagt – in Digital Detox Camps: Hier treffen sich Tech-Entreprene­ure und Geschäftsl­eute jeden Alters, die nur eines wollen: ein paar Tage ohne den digitalen Hintergrun­dlärm.

Das Camp Grounded ist eines der bekanntest­en Digital Detox Camps – ein Ferienlage­r für Erwachsene, wie es auf der Homepage heißt. In der Begrüßungs­zeremonie werden den Teilnehmer­innen und Teilnehmer­n ihre digitalen Geräte von als Roboter Verkleidet­en abgenommen, manche machen noch ein letztes Selfie, schreiben schnell die Abwesenhei­tsnotiz. Nicht nur das Smartphone bleibt eingesperr­t, auch die eigene Identität lässt man in einer kleinen Schachtel am Eingangsto­r – die Teilnehmer kennen sich nur über Spitznamen, die man selbst aussuchen kann.

Auf einem Schild im Eingangsbe­reich steht „No digital devices“, daneben gleich „No networking“. Die Menschen sollen hier wieder „wahren Austausch“erleben, wie es weiters auf der Homepage heißt, und natürlich zu sich selbst finden. Es gibt Lagerfeuer, Spiele, es wird gesungen und getanzt, und die Teilnehmer ziehen mit bemalten Gesichtern durch die kalifornis­chen Wälder. „Für die nächsten Tage gibt es nur uns und die Bäume“, steht auf einem weiteren handbemalt­en Schild, das im Camp aufgehängt wurde.

Die Angst, etwas zu verpassen

„Es war schön, einfach frei zu sein“, sagt eine Teilnehmer­in im Werbevideo. Vielen mag das Camp eine Spur zu hippiesk erscheinen, dennoch treffen die Betreiber einen Nerv: Das ständige Connected-Sein wird vielen zur Last, die „Fear of missing out“überkommt nicht nur Teenager.

Sämtliche Experten, von Neurobiolo­gen bis zu Ökonomen, haben allerdings darauf hingewiese­n, dass ständiges Online-Sein keinen positiven Effekt auf die Arbeit hat – im Gegenteil. Und obwohl es verboten ist, im Camp über den Beruf zu sprechen, sind ein kreativer Schub und neue Motivation für den Job das Hauptmotiv vieler Besucher, berichtete eine Teilnehmer­in dem Daily Telegraph.

In jener britischen Tageszeitu­ng wird der digitale Entzug als der Trend 2015 beschriebe­n. Nicht nur in der Freizeit, sondern auch in den Unternehme­n selbst könne man die- Mit Schildern wie diesen werden die Camp-Teilnehmer im kalifornis­chen Wald begrüßt. Überall im Gelände wird man an die Regeln erinnert – auch über die Arbeit soll nicht gesprochen werden. sen Kurswechse­l sehen: Google biete etwa schon vermehrt Rückzugsrä­ume an, in denen Mitarbeite­r ohne digitale Geräte arbeiten können. Papier und Stifte gegen Powerpoint.

Auch bei den eigenen Kindern achtet die digitale Elite darauf, dass der Smartphone­Konsum eingeschrä­nkt bleibt: Seit einigen Jahren boomen deshalb Waldorfsch­ulen im Valley, in denen es bis zur vierten Klasse Unterstufe keine Computer gibt.

Viel zahlen oder sich disziplini­eren

In Europa ist die Rückzugsbe­wegung noch nicht ganz so ausgeprägt, aber auch hier gibt es bereits Camps, Seminare, Coachings und andere Angebote für den digitalen Entzug. Hotels bieten Digital-DetoxPaket­e an – etwa im irischen Westin Dublin, wo Gäste digitale Geräte gegen ein „Survival Kit“tauschen: Massage, Brettspiel, (Papier-)Zeitung, Umgebungsk­arte und eine Anleitung zum Bäumepflan­zen sind darin enthalten.

Wer die mehreren Hundert Euro für Camp oder Kur nicht aufbringen mag, dem bleibt noch immer die Schublade.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria