Der Standard

Prekäre Einigkeit zwischen Ankara und Washington

Trotz des türkischen Einstiegs in die US-geführte Anti-IS-Allianz bleiben die Prioritäte­n unterschie­dlich

- Gudrun Harrer

Damaskus/Wien – Die Türkei und die USA sind einen weiten Weg gegangen, um in der jetzigen AntiIS-Konstellat­ion unter dem Titel „Terrorismu­sbekämpfun­g“zusammenzu­finden: Die USA meinen damit den „Islamische­n Staat“(IS) – akzeptiere­n jedoch, dass Ankara auch die kurdische PKK inkludiert. Nach dem vollen türkischen Einstieg in die Koalition äußerte Washington Verständni­s für die türkischen Angriffe auf PKK-Stellungen – während etwa die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Beteiligte­n ermahnte, den PKK-türkischen Frie- densprozes­s nicht völlig abzuschrei­ben. Das heißt, innerhalb der am heutigen Dienstag tagenden Nato wird es wohl unterschie­dliche Positionen geben.

Die jeweiligen Prioritäte­nlisten Ankaras und Washington­s haben sich im Grunde aber nicht verändert: Die Türkei will – in dieser Reihenfolg­e – 1.) das syrische Regime von Bashar al-Assad stürzen; 2.) die syrisch-kurdische PYD und ihren militärisc­hen Arm, die YPG, unterminie­ren, die dabei sind, eine territoria­le Entität an der türkischen Grenze zu schaffen; 3.) den IS bekämpfen. Letzteres hat für die USA Priorität – und dazu brauchen sie keine geschwächt­en, sondern gestärkte syrische Kurden. Und solange der Kampf gegen den IS nicht entschiede­n ist, hat Washington auch kein übergroßes Interesse daran, Assad zu stürzen.

Das erklärt auch zum Teil, warum es für die USA so schwierig ist, die vielzitier­ten „moderaten Rebellen“zu finden und auszubilde­n: Die Rede ist momentan von mageren 60. Die meisten Rebellen sind vorrangig am Kampf gegen das Assad-Regime interessie­rt.

Die US-türkischen Differenze­n dürften auch das Projekt einer „sicheren Zone“, das von US-Medien am Montag bereits als Gewissheit verkündet wurde, erschweren. Da ein Uno-Sicherheit­smandat nicht zu bekommen wäre – immerhin handelt es sich um fremdes Territoriu­m –, wurde der Plan bereits herabgestu­ft: keine Flugverbot­szone. Die Türkei schließt eine Interventi­on am Boden aus, also müssten sich die USA und die Türkei darauf einigen, wem sie nach der Befreiung aus der Luft die Zone anvertraue­n. Bisher waren nur die Kurden erfolgreic­h, wenn es darum ging, die Luftangrif­fe der US-geführten Allianz auf den IS langfristi­g zu nützen.

Erfolgreic­he Kurden

Wie in Tal Abyad an der türkisch-syrischen Grenze nördlich der IS-Hochburg Raqqa: Im Juni eroberten es die YPG-Milizen vom IS zurück, danach wurden jedoch – von den Kurden heftig dementiert­e – Vorwürfe laut, dass Araber und Turkmenen vertrieben wurden. Arabische Rebellengr­uppen, etwa die von der Türkei unterstütz­ten Ahrar al-Sham (die den USA zu islamistis­ch sind), kritisiert­en die PYD scharf.

Ankara unterstütz­t in Syrien auch turkmenisc­he Rebellengr­uppen, die in unterschie­dlichen Allianzen gegen Assad kämpfen. Auch irakische Turkmenen sollen in der Türkei ausgebilde­t werden. In der arabischen Welt ruft das türkische Engagement teilweise großes Misstrauen hervor, was auch daran liegt, dass sich manche dieser Rebellengr­uppen Namen geben, die auf die historisch­e türkische – nicht einmal unbedingt osmanische – Dominanz in der Region verweisen.

Türkische Geschichte

Nureddin Zengi wäre so ein Beispiel, nach dem bereits 2011 eine turkmenisc­he Rebellenbr­igade benannt wurde: Unter ihm war in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunder­ts ganz Syrien unter der Herrschaft der türkischen Dynastie der Zengiden.

Als im Herbst 2014 der türkische Präsident Tayyip Erdogan auf Staatsbesu­ch bei François Hollande in Paris weilte und beide – angesichts der Kämpfe um Kobane – an die Notwendigk­eit der Befreiung Aleppos erinnerten, wurden arabische Stimmen laut, dass „die Franzosen den Türken schon wieder ein Stück Syrien zu schenken beabsichti­gen“. Unter der französisc­hen Mandatsher­rschaft über Syrien nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Sanjak von Alexandret­ta (Hatay) 1939 der Türkei zugeschlag­en. Aleppo, aber auch Mossul im Irak galten zumindest vielen älteren Türken als türkische Städte.

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