Der Standard

Gestrandet in einem Slum von Kairo

Samir Trabulsi (73) aus Syrien denkt nicht an Weiterfluc­ht nach Europa

- Astrid Frefel aus Kairo

Samir Trabulsi verlässt seine Wohnung nur zum Einkaufen. Den Rest des Tages vergräbt sich der syrische Flüchtling mit seiner Frau in der kleinen, billigst gebauten 40Quadratm­eter-Wohnung. Diese liegt 35 Kilometer außerhalb von Kairo in der Satelliten­stadt 6. Oktober, genauer gesagt in Masakin Osman.

Ägyptern schaudert, wenn sie den Namen dieses herunterge­kommenen Sozialbauq­uartiers hören, wo in 760 Gebäuden mit 18.000 gleichen Wohnungen über die Jahre die verschiede­nsten Menschen angesiedel­t wurden. Auch viele Flüchtling­e aus dem Sudan und Syrien haben hier eine Bleibe gefunden. Kürzlich gab es einen bewaffnete­n Überfall auf ein Kaffee, in dem vor allem Sudanesen verkehren.

Samir zuckt mit den Schultern. Eine andere Wahl hat er nicht. Der 73-jährige ehemalige Fernfahrer ist völlig mittellos. Er ist zwar wie 135.000 andere syrische Flüchtling­e in Ägypten bei der UN-Flüchtling­sorganisat­ion registrier­t. Die Unterstütz­ung ist aber minimal. Diesen Monat gab es gar kein Geld. Mit 250 Pfund (knapp 30 Euro) für die Miete hat ihm die Fard Foundation ausgeholfe­n; eine private ägyptische Hilfsorgan­isation.

Unter den vielen syrischen Familien in den trostlosen Wohnblöcke­n gibt es immer wieder Junge, die ihren Traum von einem besseren Leben nicht aufgeben und ihr Glück in Europa versuchen wollen. Mehrere Dutzend Teenager haben sich allein in den letzten Wochen von hier auf den gefährlich­en Weg über das Mittelmeer nach Italien gemacht und dafür je 2500 Dollar bezahlt.

Gedanken an eine Flucht nach Europa liegen dem Pensionär, der seit zweieinhal­b Jahren in Ägypten lebt, fern. „Als es nichts mehr gab, kein Essen, keinen Strom und kein Wasser, blieb uns nur noch die Flucht aus Ghouta“, schildert er die Lage während der Kriegswirr­en in seiner Heimat. Ghouta, eine Region außerhalb von Damaskus, war über ein Jahr von der syrischen Armee belagert. In der Gegend wurde auch Giftgas eingesetzt.

Trabulsi, Vater von sechs Söhnen und einer Tochter, die inzwischen auf mehrere Länder verteilt sind, hatte nie etwas mit Politik zu tun. Er schwärmt von seinen Reisen als Fernfahrer, insbesonde­re in die Türkei, wo er mindestens tausend Mal war. Natürlich würden er und seine Frau lieber heute als morgen wieder nach Hause, wissen aber nicht, wie es dort aussieht.

Trotz seiner prekären Situation beklagt sich Samir nicht. Auch wenn er manchmal kaum weiß, wo das Geld für Lebensmitt­el herkommen soll. Gott werde es irgendwie richten, sagt ihm sein Glaube. Geblieben ist ihm sein Stolz – und auch die traditione­lle Gastfreund­schaft ist ihm und seiner Frau heilig. Ohne die gefüllten Zucchini nicht probiert zu haben, darf der Gast nicht wieder gehen. Samir Trabulsi aus Syrien

15. Teil

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und ist auf Spenden angewiesen: Samir Trabulsi.
Lebt völlig mittellos mit seiner Frau auf 40 Quadratmet­ern und ist auf Spenden angewiesen: Samir Trabulsi.

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