Die Mischpoke sportelt in Hitlers Stadion
In Berlin starten heute die Makkabi-Spiele. Siebzig Jahre nach Kriegsende treten jüdische Sportler aus ganz Europa erstmals in Deutschland zu Wettbewerben an – auch im Olympiastadion der NS-Spiele von 1936.
Angriffslustig blickt eine Figur von Erich Seelig Reisenden auf dem Berliner Hauptbahnhof entgegen. Nur wenige können mit seinem Namen noch etwas anfangen. Der deutsche Meister im Mittelgewicht und später im Halbschwergewicht war Anfang der Dreißigerjahre ein bekannter Boxer. 1933 floh der jüdische Sportler vor den Nazis in die USA, wo er seine Boxkarriere weiterverfolgte.
Auch ein großes Bild der jüdischen Leichtathletin Lilli Henoch ist zu sehen. Sie stellte zwischen 1922 und 1926 vier Weltrekorde (zweimal Diskus, Kugelstoßen, Staffellauf) auf. 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter nach Riga deportiert und dort erschossen. An Seelig, Henoch und 15 weitere jüdische Sportler aus Deutschland erinnert die Ausstellung nun anlässlich der MakkabiSpiele, die heute, Dienstag, in Berlin vom deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck eröffnet werden.
Die Makkabiade wird – wie die Olympischen Spiele – seit 1932 alle vier Jahre (in Tel Aviv) ausgerichtet. Ebenfalls im Vier-JahresRhythmus treffen sich jüdische Sportler zur europäischen Makkabiade, zuletzt 2011 in Wien. Ab heute treten 2500 jüdische Sportler aus 36 Ländern in Berlin gegeneinander an.
Es ist das erste Mal, dass diese große jüdische Sportveranstaltung in Deutschland stattfindet – in jenem Land, von dem die Vernichtung der Juden ausging. 70 Jahre mussten seit Ende des Zweiten Weltkriegs vergehen, bis der Europäische Makkabi Verband entschied: Wir gehen nach Deutschland.
„Das sind die Spiele der Versöhnung“, sagt Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland. Doch er räumt auch ein, dass die Entscheidung nicht selbstverständlich war: „Es gab Bedenken, ob es richtig ist, die Spiele nach Berlin zu bringen, solange es noch Überlebende des Holocaust gibt, solange es noch Menschen mit einer Nummer auf dem Unterarm gibt.“Vor allem jüngere Funktionäre und Sportler setzten sich dafür ein. „Wir wollen mit diesen Spielen Deutschland ins richtige Licht rücken“, sagt Meyer.
Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes Berlin, sieht die Veranstaltung, die bis zum 5. August dauert, so: „Aus sportlicher Sicht mag das ChampionsLeague-Finale dieses Jahr für Berlin wichtiger gewesen sein, aber gesellschaftspolitisch sind die Makkabi-Spiele noch wichtiger.“Die Politik jedenfalls empfängt die Sportler mit offenen Armen, der Bund und das Land Berlin beteiligen sich an den Kosten, da Sponsoren eher verhalten reagierten.
„Angesichts der Vergangenheit kann Deutschland für die wieder erstarkte Vielfalt jüdischen Lebens unter uns und das neu gewachsene Vertrauen der Gäste aus dem Ausland nur zutiefst dankbar sein“, erklärt Kanzlerin Angela Merkel. Die Teilnehmer messen sich in drei Altersklassen in 19 Disziplinen. Dazu zählen die Klassiker Fußball, Badminton, Basketball und Schwimmen. Aber auch eher ausgefallenere Disziplinen wie Bridge, Wasserball oder Bowling gehören dazu.
Bewusste Entscheidung
Ein Teil der Wettbewerbe wird bewusst auf dem Berliner Olympiagelände abgehalten. 1936 fanden hier jene Olympischen Sommerspiele statt, mit denen Adolf Hitler die Welt beeindrucken wollte und von denen unzählige jüdische Sportler aus Deutschland ausgeschlossen waren.
Bei den Spielen nun stammt die größte Delegation aus Deutschland. Die bekanntesten Teilnehmer sind der Fechter Mark Perelmann, die ehemalige Hockey-Na- tionalspielerin Rebecca Landshut und der deutsche Großmeister im Schach, Georg Meier.
Um neue Weltrekorde geht es aber ohnehin weniger. Vielmehr stehen das Sportfest, das „Dabei sein ist alles“im Mittelpunkt. Das zeigen auch die Plakate, die seit Wochen in Berlin zu sehen sind und die mit jüdischen Begriffen spielen. „Die ganze Mischpoke am Start“, heißt es darauf. Oder: „Bei Gold werden alle meschugge.“
Und dennoch ist den meisten Beteiligten klar, wofür der Großteil des Fünf-Millionen-EuroEtats draufgeht: Für die Sicherheit rund um die Spielstätten und das Megahotel Estrel in Neukölln, in dem die Teilnehmer wohnen. Für den deutschen Justizminister Heiko Maas (SPD) ist der Polizeischutz für jüdische Einrichtungen zwar selbstverständlich, aber auch bedrückend: „Solange Polizisten vor jüdischen Schulen oder Synagogen stehen, hat sich das jüdische Leben in Deutschland nicht normalisiert.“