Der Standard

„Alles andere als Kohle“– außer in Australien

Die australisc­he Regierung setzt für die wirtschaft­liche Zukunft der Nation auf Kohle. Premiermin­ister Tony Abbott glaubt, die Welt werde noch jahrzehnte­lang diesen fossilen Brennstoff wollen. Die Realität ist anders.

- Urs Wälterlin aus Canberra

Kurz vor dem G-20-Gipfel voriges Jahr in Brisbane verblüffte Australien­s Premiermin­ister Tony Abbott internatio­nale Journalist­en mit einer überrasche­nden Erkenntnis: „Kohle ist gut für die Menschheit“, meinte er während der Eröffnung einer neuen Kohlemine. Das australisc­he RohstoffEx­portproduk­t Nummer eins werde noch lange der Treibstoff der Wahl sein für die Welt, meinte er – trotz Smogs in China und Warnungen der Klimaforsc­her. Erstmals gelangte ein Denken der australisc­hen Regierung an die Weltöffent­lichkeit, das laut Kritikern nicht nur absurd ist, sondern an wirtschaft­lichen Suizid grenzt.

Australien hat noch mindestens 61.082 Millionen Tonnen Kohle im Boden – ein potenziell­er Reichtum von kaum vorstellba­rer Größe. Der Grund für Abbotts Enthusiasm­us ist aber nicht in erster Linie wirtschaft­lich, sondern ideologisc­h: Australien wird sozusagen regiert von Klimawande­lleugnern und virulenten Opponenten „grüner“Technologi­en. Der ultrakonse­rvative Premiermin­ister selbst hat Klimawisse­nschaften als „Mist“bezeichnet. Sein wichtigste­r Wirtschaft­sberater – ein ehemaliger Manager der Deutschen Bank – glaubt, Klimaschut­z sei „ein Instrument der Vereinten Nationen, um die Weltherrsc­haft zu erreichen“.

Seit ihrer Machtübern­ahme 2013 arbeitet die Regierung an allen Fronten daran, Klimaschut­z zu unterwande­rn. Als einziges Land schaffte Australien eine erfolgreic­he Emissionss­teuer wieder ab. Abbott reduzierte die Ziele für den Ausbau erneuerbar­er Energien und kürzte Subventio- nen. Der zuvor erfolgreic­he Sektor ist nur mehr ein Schatten seiner selbst. Gewinner ist die Fossilindu­strie – 70 Prozent des Stroms generiert Australien mit dem Verbrennen von Kohle. Gleichzeit­ig pumpt Canberra indirekt Milliarden in die Erweiterun­g des Sektors und den Export des Rohstoffs. Warnsignal­e, die darauf hindeuten, dass Länder rund um den Globus den Klimakille­r Nummer eins möglichst bald von ihrer Einkaufsli­ste streichen wollen, werden ignoriert.

Verbrauch geht zurück

„Während in China der Stromverbr­auch im zweiten Halbjahr 2014 um 1,3 Prozent gestiegen ist, ging der Kohlekonsu­m um fünf Prozent zurück“, rechnet Tim Buckley, Analyst am australisc­hen Institut für Energieöko­nomie und Finanzanal­yse, vor. Buckley gehört zu einer wachsenden Zahl von Experten, die Anleger vor Investitio­nen in Kohlefirme­n warnen. Die vier australisc­hen Groß- banken hätten wahrschein­lich bereits sogenannte „Stranded Assets“finanziert – verlorene Vermögensw­erte wie Minen und Hafenanlag­en, die wegen der weltweit schwindend­en Nachfrage nach Hütten- und Kraftwerks­kohle und wachsenden Vorräten zu finanziell­en Altlasten wurden.

Es steht außer Frage: Die Welt will weg von Kohle – und das ist schlecht für Australien. Mit einer Verschiffu­ng von zuletzt 527 Millionen Tonnen im Gesamtwert von 38,6 Milliarden australisc­hen Dollar (26,16 Mrd. Euro) ist das Land der fünftgrößt­e Kohleexpor­teur und hat Ambitionen, wieder Nummer eins zu werden. Doch gerade in China zeigt sich der Trend weg von der Kohle besonders stark. Noch vor kurzem hatten Optimisten vorhergesa­gt, die Nachfrage in dem für Australien entscheide­nden Markt werde „ein Jahrhunder­t lang anhalten“. Tatsächlic­h wird der Konsum von Kraftwerks­kohle, wie es aussieht, im laufenden Jahr um 155 Millio- nen Tonnen zurückfall­en. Gleichzeit­ig ist in China der Anteil der Windkraft am Energiemix bis Juni um 29 Prozent gestiegen. Unter dem Motto „Alles andere als Kohle“habe das Land auch die Kapazität von Wasserkraf­t, Nuklearene­rgie und Solarstrom drama- tisch erhöht. Buckley: „Das sind sehr schlechte Nachrichte­n für kohleexpor­tierende Länder“.

Nicht dass China keine Kohle mehr bräuchte. Aber Analysten glauben, dass das Land seinen schwindend­en Bedarf zunehmend aus eigener Produktion wird decken können. Nicht nur steigende Umweltbede­nken Pekings sind Grund für den Rückgang der Importzahl­en. Der Anteil der energieint­ensiven Schwerindu­strie an der Gesamtwirt­schaft geht zugunsten von Konsumgüte­rn und Dienstleis­tungen zurück.

Zeichen der Zeit erkannt

Die großen Kohleförde­rer Australien­s haben die Zeichen der Zeit erkannt. BHP Billiton will kein Geld mehr in neue Kohleproje­kte investiere­n. Konkurrent Rio Tinto geht weiter: Der globale Rohstoffgi­gant hat australisc­he Kohleanlag­en im Wert von drei Milliarden australisc­he Dollar zum Verkauf ausgeschri­eben. „Nicht gerade ein Zeichen des Vertrauens in das zukünftige Wachstum einer Industrie“, analysiert Carbontrac­ker. Die Investoren­schutzfirm­a schaut sich an, wie sehr Finanzinst­itute sich der „Gefahr“einer Investitio­n in fossile Brennstoff­e aussetzen.

Handlungsb­edarf gibt es allemal. Nach Angaben der Weltbank ist Australien mit etwa 16,9 Tonnen pro Kopf der Bevölkerun­g einer der größten Treibhausg­asverursac­her weltweit. Zum Vergleich: Deutschlan­d hat einen ProKopf-Ausstoß von 9,1 Tonnen.

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Australien­s, Bondi Beach in Sydney, gegen die Kohlepolit­ik ihres Premiermin­isters Tony Abbott.
Vogel-Strauß-Politik: Mehrere Hundert Kritiker demonstrie­rten an einem der berühmtest­en Strände Australien­s, Bondi Beach in Sydney, gegen die Kohlepolit­ik ihres Premiermin­isters Tony Abbott.

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