Der Standard

Ein Greenhorn bei den Halsabschn­eidern

John Macleans Langfilmde­büt „Slow West“ist ein poetischer Western mit lyrischen Momenten, ein satirische­r Western mit beißendem Humor, und er ist nicht zuletzt ein melancholi­scher Western mit elegischen Klängen.

- Michael Pekler Dead Man Slow West Slow West Slow West Slow West Slow West

Wien – Die eigenartig­ste Begegnung findet in der scheinbar endlosen Weite der Prärie statt. Ein Anthropolo­ge hat hier mit seinem Wagen haltgemach­t und lädt Jay Cavendish (Kodi Smit-McPhee) ein, sein Lager bei ihm aufzuschla­gen. Der junge Schotte nimmt das Angebot dankend an, zumal er auf seiner Reise endlich einem gebildeten Mann begegnet, der sich von den zwielichti­gen Gestalten, denen er bisher über den Weg gelaufen ist, wohltuend unterschei­det. Ein Humanist, der das Verschwind­en der Ureinwohne­r dokumentie­rt und Anlass zur Hoffnung gibt, dass die Aufklärung es bis nach Colorado schafft.

Es ist ein seltsames Land, durch das Cavendish reitet. Da gibt es eine kleine Lichtung, auf der Skalpjäger ihrem blutigen Geschäft nachgehen; es gibt eine Steppe, über der nächtens Millionen von Sternen funkeln. Es gibt einen sogenannte­n Geisterwal­d, von dem niemand weiß, warum er so heißt. Und es gibt eine kleine Holzhütte, in der sich Cavendishs Geliebte mit ihrem Vater versteckt, seit die beiden in die Neue Welt geflohen sind. Jeder dieser Orte wird in zu einem Schauplatz, an dem sich Dramatisch­es ereignet und an dem zugleich die Zeit angehalten scheint.

Denn das Langfilmde­büt des bisher als Musiker (The Beta Band) in Erscheinun­g getretenen Briten John Maclean ist ein Western, der es sich leisten kann, seine Szenen auszuspiel­en. In gewisser Hinsicht an Jim Jarmuschs

erinnernd, in dem Johnny Depp seinem Schicksal entgegenir­rte, präsentier­t sich

als Stationend­rama, das dem Neuankömml­ing zweierlei vor Augen führt: nämlich dass erstens Liebe blind macht und zweitens übertriebe­ner Eifer in diesem Land kein guter Ratgeber ist, falls man nicht für Rückversic­herung oder Rückendeck­ung gesorgt hat.

Cavendish hat zwar einen Kompass, ein Pferd und große Zuversicht. Doch er hat auch einen nicht uneigennüt­zigen Vagabunden namens Silas (Michael Fassbender) als Führer, der ihn – so sich ihre Wege nicht hin und wieder kurzfristi­g trennen – für hundert Dollar ans Ziel bringen soll.

Im klassische­n Western sind die Figuren irgendwann gezwungen, über sich nachzudenk­en. Das macht die Einsamkeit mit ihnen.

orientiert sich an diesem Szenario, lässt aber das Greenhorn wie einen Traumwandl­er durch die Gegend stolpern, der sich – im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger – seiner Lage nie bewusst wird. Und der Haudegen mit dunkler Vergangenh­eit mag jede Situation so schnell erkennen wie die Caven- dish und ihn verfolgend­en Kopfgeldjä­ger, doch er hat kein Ziel, sondern bloß Interessen.

Diese Kombinatio­n macht Slow West als Anmerkung zum seit Jahrzehnte­n totgesagte­n Genre bemerkensw­ert und könnte durchaus als politische­r Kommentar verstanden werden: Niemand hatte in der Geschichte dieses Landes Einsicht in die eigenen Grenzen.

ist ein poetischer Western mit lyrischen Momenten, ein satirische­r Western mit beißendem Humor, und er ist nicht zuletzt ein melancholi­scher Western mit elegischen Klängen. Als britische Produktion, die in Neuseeland gedreht wurde, vermisst dieser Film die amerikanis­che Agenda recht genau, wenngleich die Kamera sich mitunter allzu gerne von Italo-Vorbildern inspiriert zeigt. Und das kleinere, europäisch­e Leinwandfo­rmat erweist sich als zweckdienl­ich, interessie­rt sich dieser Film doch weniger für die Landschaft als für die Körperlich­keit seiner Figuren.

Dass es in einmal mehr nicht die rechtschaf­fenen Pioniere und braven Siedler sind, die dieses Land in die Zukunft führen, sondern die Halsabschn­eider und Herumtreib­er, ist nur konsequent. Vom Umschreibe­n der Geschichte haben schon andere Western erzählt, in denen die Anthropolo­gen zu Biografen werden. Jetzt im Kino

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