Der Standard

Feuer im Marillenre­fugium

„Glatt und Verkehrt“-Festival endet bravourös

- Stefan Weiss De La Shaped Box of Space Heart- Out

Krems – Die Absage kam früh, und doch zu spät. Der US-Klangkünst­ler Arto Lindsay war als große Nummer des abschließe­nden Sonntags beim „Glatt und Verkehrt“-Festival schon ins Programmhe­ft gedruckt worden. Ärgerlich, doch letztlich eine Chance: Die argentinis­che Sängerin Sofia Rei ersetzte Lindsay mit Bravour, Feuer und Lebenslust. Den Kuratoren Jo Aichinger und Albert Hosp sei gedankt. „Go West“hatten die beiden für den Abschluss als Motto ersonnen.

Bevor es so weit war, gaben unterm Marillenba­um die lokal verwurzelt­en Blasmusikp­oeten Federspiel die Vorband. 2004 von sieben Musikstude­nten gegründet, sprengt man Genregrenz­en, ohne das Alte dem Neuen zu opfern. Mit Ironie und musikalisc­her Brillanz zeigen die Musiker, dass bei Volksmusik allenfalls das „Volk“für Stumpfsinn steht, nicht die Musik.

Die weinende Frau

Die aus Buenos Aires nach New York ausgewande­rte Sofia Rei trat mit ihrem Landsmann Franco Pinna (Drums), dem Peruaner Jorge Roeder (Bass) und dem US-Gitarriste­n Eric Kurimski auf. Sofia Reis Gesang saß wie in Stein gemeißelt. Kräftig, Papagena-artig oben hinausschi­ebend und sogleich wieder ins heiser Dunkle abtauchend. Dort bewegten sich auch die Bassläufe Jorge Roeders oder die Schlagzeug­soli von Franco Pinna.

Zur Aufführung gelangten Lieder aus Reis jüngstem Album tierra y oro und ältere Songs. llorona, die weinende Frau, ist eine jener Volksgesch­ichten, von denen Reis Lieder oft handeln. Ihren sirenenhaf­ten Gesang ver- vielfältig­t sie auf der Bühne mehrstimmi­g mittels Loop-Computer, spielt dazu traditione­lle südamerika­nische Instrument­e oder klatscht in die Hände. Feurig, dramatisch – und eigentlich viel zu kurz, was hier geboten wurde.

Das New Standard Trio, bestehend aus dem Pianisten Jamie Saft, dem 75-jährigen Bassgitarr­enpionier Steve Swallow und dem Schlagwerk­virtuosen Bobby Previte, wusste den Traum auf seine Art weiterzusp­innen.

Jamie Saft, den mächtigen Bart gerade noch auf Höhe der Klaviatur getrimmt, spielt Piano und Orgel wie mit Katzenpföt­chen: trommelnd, streicheln­d, tapsend und sogar zupfend. Er ist es auch, der reichlich Soul in die Combo mitbringt, etwa bei dem genialen Song Clearing. Ähnlich euphorisch beklatscht wurde nur noch die rasende Schlussnum­mer, bei der Drummer Previte fast die Arme davonfloge­n. Hochleistu­ngssport!

Für Bewegung sorgte am Ende auch die neunköpfig­e Hackney Colliery Brass-Band aus London. Druckvolle Trompeten, allen voran von Bandleader Steve Pretty mit Soli bis an die Kreislaufb­elastungsg­renze, erhöhten den Geräuschpe­gel merklich. Da räumte dann schon der eine oder andere auf Sanftheit Gebürstete das Feld.

Pretty kommentier­te mit britischem Humor: „Dass alles so zivilisier­t abläuft wie hier, ist für uns neu – wir spielen sonst auch bei Rave-Partys.“Spätestens bei Coverversi­onen von Nirvanas

und The Prodigys war klar: eigentlich zu jung, zu laut für ein glattes Sitzkonzer­t. Die Verblieben­en riss man per Animation vom Hocker, und an der Ecke zur Ausschank wurde immerhin getanzt. Sicher nicht verkehrt.

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