Feuer im Marillenrefugium
„Glatt und Verkehrt“-Festival endet bravourös
Krems – Die Absage kam früh, und doch zu spät. Der US-Klangkünstler Arto Lindsay war als große Nummer des abschließenden Sonntags beim „Glatt und Verkehrt“-Festival schon ins Programmheft gedruckt worden. Ärgerlich, doch letztlich eine Chance: Die argentinische Sängerin Sofia Rei ersetzte Lindsay mit Bravour, Feuer und Lebenslust. Den Kuratoren Jo Aichinger und Albert Hosp sei gedankt. „Go West“hatten die beiden für den Abschluss als Motto ersonnen.
Bevor es so weit war, gaben unterm Marillenbaum die lokal verwurzelten Blasmusikpoeten Federspiel die Vorband. 2004 von sieben Musikstudenten gegründet, sprengt man Genregrenzen, ohne das Alte dem Neuen zu opfern. Mit Ironie und musikalischer Brillanz zeigen die Musiker, dass bei Volksmusik allenfalls das „Volk“für Stumpfsinn steht, nicht die Musik.
Die weinende Frau
Die aus Buenos Aires nach New York ausgewanderte Sofia Rei trat mit ihrem Landsmann Franco Pinna (Drums), dem Peruaner Jorge Roeder (Bass) und dem US-Gitarristen Eric Kurimski auf. Sofia Reis Gesang saß wie in Stein gemeißelt. Kräftig, Papagena-artig oben hinausschiebend und sogleich wieder ins heiser Dunkle abtauchend. Dort bewegten sich auch die Bassläufe Jorge Roeders oder die Schlagzeugsoli von Franco Pinna.
Zur Aufführung gelangten Lieder aus Reis jüngstem Album tierra y oro und ältere Songs. llorona, die weinende Frau, ist eine jener Volksgeschichten, von denen Reis Lieder oft handeln. Ihren sirenenhaften Gesang ver- vielfältigt sie auf der Bühne mehrstimmig mittels Loop-Computer, spielt dazu traditionelle südamerikanische Instrumente oder klatscht in die Hände. Feurig, dramatisch – und eigentlich viel zu kurz, was hier geboten wurde.
Das New Standard Trio, bestehend aus dem Pianisten Jamie Saft, dem 75-jährigen Bassgitarrenpionier Steve Swallow und dem Schlagwerkvirtuosen Bobby Previte, wusste den Traum auf seine Art weiterzuspinnen.
Jamie Saft, den mächtigen Bart gerade noch auf Höhe der Klaviatur getrimmt, spielt Piano und Orgel wie mit Katzenpfötchen: trommelnd, streichelnd, tapsend und sogar zupfend. Er ist es auch, der reichlich Soul in die Combo mitbringt, etwa bei dem genialen Song Clearing. Ähnlich euphorisch beklatscht wurde nur noch die rasende Schlussnummer, bei der Drummer Previte fast die Arme davonflogen. Hochleistungssport!
Für Bewegung sorgte am Ende auch die neunköpfige Hackney Colliery Brass-Band aus London. Druckvolle Trompeten, allen voran von Bandleader Steve Pretty mit Soli bis an die Kreislaufbelastungsgrenze, erhöhten den Geräuschpegel merklich. Da räumte dann schon der eine oder andere auf Sanftheit Gebürstete das Feld.
Pretty kommentierte mit britischem Humor: „Dass alles so zivilisiert abläuft wie hier, ist für uns neu – wir spielen sonst auch bei Rave-Partys.“Spätestens bei Coverversionen von Nirvanas
und The Prodigys war klar: eigentlich zu jung, zu laut für ein glattes Sitzkonzert. Die Verbliebenen riss man per Animation vom Hocker, und an der Ecke zur Ausschank wurde immerhin getanzt. Sicher nicht verkehrt.