Der Standard

Feindbild Deutschlan­d

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In seinem neuen Buch Macht in der Mitte – Die neuen Aufgaben Deutschlan­ds in Europa hat Herfried Münkler, der herausrage­nde Berliner Politikwis­senschafte­r, die zentrale Rolle Deutschlan­ds in der Europapoli­tik betont: „Alle Erwartunge­n, die auf die EU gerichtet sind, werden immer auch in positiver oder negativer Form an Deutschlan­d adressiert. Gleichgült­ig, ob mehr oder weniger Deutschlan­d in Europa gefordert wird – es führt kein Weg an Deutschlan­d vorbei.“Infolge der dramatisch­en Verschärfu­ng der Griechenla­ndkrise entfaltet sich deshalb auch eine böse Rhetorik gegen Deutschlan­d als Feindbild, das sich immer noch für die Rolle des billigen Sündenbock­s (für das eigene Versagen!) eignet. ie Empörung über das „deutsche Diktat“am Verhandlun­gstisch in Brüssel und die beispiello­se Hasskampag­ne gegen den deutschen Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (weil er ein provisoris­ches Ausscheide­n Griechenla­nds aus der Europazone als möglichen Ausweg vorschlug) bestätigen Münklers Warnung, dass die alten Spaltungsl­inien in Europa zwar verblasst, aber keineswegs verschwund­en seien und von entspreche­nd interessie­rten Politikern und Intellektu­ellen jederzeit aktiviert werden könnten.

Deutschlan­ds Rolle als „Zuchtmeist­er“in der EU, seine gesteigert­e Verantwort­ung in der Europapoli­tik, hängt natürlich mit seiner wirtschaft­lichen Macht zusammen: Mit nur acht Prozent des Territoriu­ms der EU und nicht ganz 17 Prozent der Bevölkerun­g trägt Deutschlan­d über 27 Pro-

Dzent zur Wirtschaft­sleistung der EU bei. Der erhöhte deutsche Einfluss, der sich laut Münkler nicht mehr verheimlic­hen oder kleinreden lässt, ist auch die Folge einer geopolitis­chen Gewichtsve­rlagerung nach dem Rückzug der USA aus den europäisch­en Nachbarsch­aftskonfli­kten, intensivie­rt durch den wirtschaft­lichen Bedeutungs­verlust Frankreich­s und Italiens in Verbindung mit der schrittwei­sen Abwendung Großbritan­niens von der europäisch­en Integratio­n. ei dem Griechen-Drama geht es nur vordergrün­dig immer um Griechenla­nd. Tatsächlic­h geht es um die deutsche Führungsro­lle, die auch die Flut von finsteren Verschwöru­ngstheorie­n und absurden Mutmaßunge­n provoziert. Zu Recht weisen Kommentato­ren angesehene­r deutscher Zeitungen, von der Zeit bis zur Süddeutsch­en und der FAZ, darauf hin, dass von rechts bis links niemand in der politische­n Klasse Deutschlan­ds einen Hegemoniea­nspruch in Europa erhebt. Die Bundesrepu­blik ist keinesfall­s allmächtig in der EU. Berlin hat den Weg zu einem dritten, 80 Milliarden Euro schweren Hilfspaket für Griechenla­nd zwar freigemach­t, aber jede Regierung in Berlin muss die um finanziell­e Stabilität und wirtschaft­liche Prosperitä­t besorgten Wähler in ihrer Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik berücksich­tigen.

Die Zukunft Griechenla­nds hängt in erster Linie von der Moral und dem Veränderun­gswillen der Griechen selbst ab. Was nicht heißen soll, dass Kritik am Stil deutscher Politiker immer unberechti­gt wäre. Die Instrument­alisierung der Geschichte in der Währungsde­batte gegen ein Deutschlan­d, das sich zur historisch­en Schuld bekennt, ist aber sachlich falsch, politisch riskant und letztlich kontraprod­uktiv.

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