Der Standard

Kiew ja, Athen na ja

Geht es um die Schulden der Ukraine und Griechenla­nds, misst der Internatio­nale Währungsfo­nds mit zweierlei Maß.

- ANALYSE: András Szigetvari

Wien – Die Lage ist katastroph­al. Erwartet hatten Ökonomen für heuer einen moderaten Aufschwung. Stattdesse­n ist die Rezession schlimmer als zuvor: Die Wirtschaft­sleistung dürfte 2015 um bis zu acht Prozentpun­kte einbrechen. Die Arbeitslos­igkeit steigt weiter, und die Staatsvers­chuldung soll bis Jahresende um die Hälfte höher liegen, als noch vor kurzem erwartet wurde.

Klingt nach Griechenla­nd? Mag sein. Aber die Einschätzu­ngen stammen aus einer neuen Analyse des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) zur Ukraine. Das osteuropäi­sche Land ist neben Griechenla­nd aktuell der zweite große Schuldner des IWF.

In der vergangene­n Woche musste die Washington­er Organisati­on für beide Staaten die Weichen neu stellen. Im Fall der Ukraine steht eine Auszahlung von 1,7 Milliarden US-Dollar (1,5 Milliarden Euro) an Kiew bevor. Bei Griechenla­nd sollte die IWFFührung entscheide­n, ob man sich am dritten Rettungspr­ogramm für das Euroland noch beteiligen will.

Kiew erhielt am Freitag grünes Licht. Das wichtigste IWF-Gremium, das Direktoriu­m, stimmte der Auszahlung zu. Für Athen steht die Ampel dagegen auf Rot. Der Fonds will sich vorerst nicht am neuen Kreditprog­ramm beteiligen – die Voraussetz­ungen seien wegen der hohen Staatsschu­lden in Hellas nicht gegeben. Zuerst müsse ein Schuldensc­hnitt her.

Nun ist natürlich kein Fall wie der andere. Die Ukraine ist deutlich ärmer als Griechenla­nd, und das Land steckt in einem Bürgerkrie­g fest. Die Regierung in Kiew bemüht sich zudem alle Vereinba- rungen zu erfüllen, die man mit dem Fonds im Gegenzug für einen 17,1-Milliarden-Dollar-Notkredit ausgehande­lt hat. In Griechenla­nd wollte die linke Syriza-Regierung einen Teil der Reformaufl­agen bis vor kurzem noch kippen. Doch ökonomisch betrachtet ist eine Ungleichbe­handlung der Länder nicht zu rechtferti­gen.

Denn auch die Ukraine ist von den Finanzmärk­ten abgeschnit­ten, nach den Kriterien des IWF heillos überschuld­et. Das Land versucht aktuell eine Entschuldu­ng mit seinen privaten Gläubigern auszuhande­ln – bisher ohne Erfolg. Die Gespräche stocken. Ohne Schuldensc­hnitt für Kiew dürfte der Währungsfo­nds keinen weiteren Cent überweisen. Doch im Gegensatz zu Griechenla­nd ist der Haircut für Kiew keine Vorbedingu­ng.

Dass die Ukraine gut behandelt wird, liegt auf der Hand. Die pro- westliche Regierung dort hat die volle Unterstütz­ung der USA und der Europäer im Konflikt mit Russland. Da muss Geld fließen.

Aber warum die Strenge bei Griechenla­nd? Der Währungsfo­nds war ja lange auch hier bereit wegzuschau­en. Als Basis für jede Überweisun­g muss der IWF eine Debt Sustainabi­lity Analysis (DSA) durchführe­n. Bei diesen Analysen versuchen Ökonomen unter verschiede­nen Annahmen für Wachstum, Zinsen, Inflation zu berechnen, ob die Schulden eines Staates tragfähig sind. Nur in diesem Fall dürfen Kredite fließen. Der Währungsfo­nds hat den Griechen seit dem Start des ersten Notprogram­ms 2010 wieder und wieder die Schuldentr­agfähigkei­t bescheinig­t, zuletzt im Mai 2014.

Dabei wurden immer außerorden­tlich günstige Annahmen getroffen: In der DSA vom Mai wurde zum Beispiel als Basisszena­rio erwartet, dass Griechenla­nd zwischen 2016 und 2019 rekordverd­ächtig stark wächst. Erwartet wurde ein Plus bei der Wirtschaft­sleistung von jährlich 3,3 bis 3,7 Prozent. Auch die Privatisie­rungserlös­e sollten dazu beitragen, dass Griechenla­nds Schulden von 175 auf 125 Prozent der Wirtschaft­sleistung bis 2022 sinken.

In der jüngsten Schuldenan­alyse, die Ende Juni veröffentl­icht wurde, waren die Aussichten plötzlich düsterer. Griechenla­nds Verbindlic­hkeiten sollen demnach nicht auf ein tragfähige­s Niveau sinken. Der IWF begründete dies mit dem verschlech­terten Umfeld: Nach dem Regierungs­wechsel in Athen habe das Land mehr Geld ausgegeben als vereinbart, und die Wirtschaft sei stärker geschrumpf­t als gedacht.

Doch ein genauer Blick zeigt, dass der IWF seine Annahmen geändert hat: Er rechnet jetzt mit deutlich weniger Wachstum. Nicht nur für die nahe Zukunft. Selbst für die Jahre 2018 und 2019 sind jetzt viel schlechter­e Prognosen getroffen worden.

Dass die bisher unrealisti­schen Erwartunge­n korrigiert wurden, hat mehrere Gründe. Zunächst waren die geschönten Zahlen in der Vergangenh­eit nötig, um bei der Griechenla­ndhilfe mitmachen zu können. Das Hellas-Programm galt lange als prestigetr­ächtig für den Fonds.

Lagardes Wiederwahl

Zugleich muss Währungsfo­ndsChefin Christine Lagarde bereits an ihre geplante Wiederwahl denken. Diese steht zwar erst in 18 Monaten an. Doch Lagarde will sich auch die Unterstütz­ung von aufstreben­den Ländern wie Indien und Brasilien sichern. Diese Länder haben immer wieder Kritik an dem aus ihrer Sicht zu „freundlich­em“Umgang mit Griechenla­nd geübt. „Lagarde will nicht dastehen wie eine reine Vertreteri­n Europas“, sagt ein IWF-Diplomat.

Für die Skepsis gibt es aber noch einen anderen Grund: „Der IWF hat schon Interesse, beim Hellas-Programm weiter mitzumache­n“, erzählt der Diplomat, „doch man will dies unter geänderten Rahmenbedi­ngungen tun.“

Griechenla­nd solle also entschulde­t werden, aber ordentlich. Aktuell diskutiere­n die Gläubiger Athens tatsächlic­h einen Haircut. Doch die Euroländer – um deren Geld es geht – stehen auf der Bremse. Die deutsche Regierung ist nur bereit, über verlängert­e Rückzahlun­gsfristen und niedrigere Zinsen für Athen zu diskutiere­n. Einen richtigen Haircut, bei dem Schulden erlassen werden, will Berlin nicht. Das sei auch laut EUVerträge­n ausgeschlo­ssen.

Aus Sicht des Fonds ist die Rechtslage in Europa aber alles andere als klar. Vor allem der Chef der IWF-Europaabte­ilung, Poul Thomsen, soll Insidern zufolge genug von halbherzig­en Lösungen haben und für einen nominellen Schuldensc­hnitt plädieren. Die deutsche Regierung hat immer wieder gesagt, sie wolle den IWF weiter in Griechenla­nd dabeihaben. Es sieht aus, als müsste sich Berlin diese Beteiligun­g erkaufen.

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Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) hat in Athen nur wenige Freunde. Dabei spielt der IWF den „Bad Guy“oft aus strategisc­hen Erwägungen: Die Griechen sollen den Fonds und nicht die EU anfeinden.

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