Kiew ja, Athen na ja
Geht es um die Schulden der Ukraine und Griechenlands, misst der Internationale Währungsfonds mit zweierlei Maß.
Wien – Die Lage ist katastrophal. Erwartet hatten Ökonomen für heuer einen moderaten Aufschwung. Stattdessen ist die Rezession schlimmer als zuvor: Die Wirtschaftsleistung dürfte 2015 um bis zu acht Prozentpunkte einbrechen. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, und die Staatsverschuldung soll bis Jahresende um die Hälfte höher liegen, als noch vor kurzem erwartet wurde.
Klingt nach Griechenland? Mag sein. Aber die Einschätzungen stammen aus einer neuen Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Ukraine. Das osteuropäische Land ist neben Griechenland aktuell der zweite große Schuldner des IWF.
In der vergangenen Woche musste die Washingtoner Organisation für beide Staaten die Weichen neu stellen. Im Fall der Ukraine steht eine Auszahlung von 1,7 Milliarden US-Dollar (1,5 Milliarden Euro) an Kiew bevor. Bei Griechenland sollte die IWFFührung entscheiden, ob man sich am dritten Rettungsprogramm für das Euroland noch beteiligen will.
Kiew erhielt am Freitag grünes Licht. Das wichtigste IWF-Gremium, das Direktorium, stimmte der Auszahlung zu. Für Athen steht die Ampel dagegen auf Rot. Der Fonds will sich vorerst nicht am neuen Kreditprogramm beteiligen – die Voraussetzungen seien wegen der hohen Staatsschulden in Hellas nicht gegeben. Zuerst müsse ein Schuldenschnitt her.
Nun ist natürlich kein Fall wie der andere. Die Ukraine ist deutlich ärmer als Griechenland, und das Land steckt in einem Bürgerkrieg fest. Die Regierung in Kiew bemüht sich zudem alle Vereinba- rungen zu erfüllen, die man mit dem Fonds im Gegenzug für einen 17,1-Milliarden-Dollar-Notkredit ausgehandelt hat. In Griechenland wollte die linke Syriza-Regierung einen Teil der Reformauflagen bis vor kurzem noch kippen. Doch ökonomisch betrachtet ist eine Ungleichbehandlung der Länder nicht zu rechtfertigen.
Denn auch die Ukraine ist von den Finanzmärkten abgeschnitten, nach den Kriterien des IWF heillos überschuldet. Das Land versucht aktuell eine Entschuldung mit seinen privaten Gläubigern auszuhandeln – bisher ohne Erfolg. Die Gespräche stocken. Ohne Schuldenschnitt für Kiew dürfte der Währungsfonds keinen weiteren Cent überweisen. Doch im Gegensatz zu Griechenland ist der Haircut für Kiew keine Vorbedingung.
Dass die Ukraine gut behandelt wird, liegt auf der Hand. Die pro- westliche Regierung dort hat die volle Unterstützung der USA und der Europäer im Konflikt mit Russland. Da muss Geld fließen.
Aber warum die Strenge bei Griechenland? Der Währungsfonds war ja lange auch hier bereit wegzuschauen. Als Basis für jede Überweisung muss der IWF eine Debt Sustainability Analysis (DSA) durchführen. Bei diesen Analysen versuchen Ökonomen unter verschiedenen Annahmen für Wachstum, Zinsen, Inflation zu berechnen, ob die Schulden eines Staates tragfähig sind. Nur in diesem Fall dürfen Kredite fließen. Der Währungsfonds hat den Griechen seit dem Start des ersten Notprogramms 2010 wieder und wieder die Schuldentragfähigkeit bescheinigt, zuletzt im Mai 2014.
Dabei wurden immer außerordentlich günstige Annahmen getroffen: In der DSA vom Mai wurde zum Beispiel als Basisszenario erwartet, dass Griechenland zwischen 2016 und 2019 rekordverdächtig stark wächst. Erwartet wurde ein Plus bei der Wirtschaftsleistung von jährlich 3,3 bis 3,7 Prozent. Auch die Privatisierungserlöse sollten dazu beitragen, dass Griechenlands Schulden von 175 auf 125 Prozent der Wirtschaftsleistung bis 2022 sinken.
In der jüngsten Schuldenanalyse, die Ende Juni veröffentlicht wurde, waren die Aussichten plötzlich düsterer. Griechenlands Verbindlichkeiten sollen demnach nicht auf ein tragfähiges Niveau sinken. Der IWF begründete dies mit dem verschlechterten Umfeld: Nach dem Regierungswechsel in Athen habe das Land mehr Geld ausgegeben als vereinbart, und die Wirtschaft sei stärker geschrumpft als gedacht.
Doch ein genauer Blick zeigt, dass der IWF seine Annahmen geändert hat: Er rechnet jetzt mit deutlich weniger Wachstum. Nicht nur für die nahe Zukunft. Selbst für die Jahre 2018 und 2019 sind jetzt viel schlechtere Prognosen getroffen worden.
Dass die bisher unrealistischen Erwartungen korrigiert wurden, hat mehrere Gründe. Zunächst waren die geschönten Zahlen in der Vergangenheit nötig, um bei der Griechenlandhilfe mitmachen zu können. Das Hellas-Programm galt lange als prestigeträchtig für den Fonds.
Lagardes Wiederwahl
Zugleich muss WährungsfondsChefin Christine Lagarde bereits an ihre geplante Wiederwahl denken. Diese steht zwar erst in 18 Monaten an. Doch Lagarde will sich auch die Unterstützung von aufstrebenden Ländern wie Indien und Brasilien sichern. Diese Länder haben immer wieder Kritik an dem aus ihrer Sicht zu „freundlichem“Umgang mit Griechenland geübt. „Lagarde will nicht dastehen wie eine reine Vertreterin Europas“, sagt ein IWF-Diplomat.
Für die Skepsis gibt es aber noch einen anderen Grund: „Der IWF hat schon Interesse, beim Hellas-Programm weiter mitzumachen“, erzählt der Diplomat, „doch man will dies unter geänderten Rahmenbedingungen tun.“
Griechenland solle also entschuldet werden, aber ordentlich. Aktuell diskutieren die Gläubiger Athens tatsächlich einen Haircut. Doch die Euroländer – um deren Geld es geht – stehen auf der Bremse. Die deutsche Regierung ist nur bereit, über verlängerte Rückzahlungsfristen und niedrigere Zinsen für Athen zu diskutieren. Einen richtigen Haircut, bei dem Schulden erlassen werden, will Berlin nicht. Das sei auch laut EUVerträgen ausgeschlossen.
Aus Sicht des Fonds ist die Rechtslage in Europa aber alles andere als klar. Vor allem der Chef der IWF-Europaabteilung, Poul Thomsen, soll Insidern zufolge genug von halbherzigen Lösungen haben und für einen nominellen Schuldenschnitt plädieren. Die deutsche Regierung hat immer wieder gesagt, sie wolle den IWF weiter in Griechenland dabeihaben. Es sieht aus, als müsste sich Berlin diese Beteiligung erkaufen.