Der Standard

Suche nach einer Bauanleitu­ng für die Eurozone

Ob in Athen, Berlin oder Paris: Die Regierunge­n in Europa sind sich einig darin, dass die Antikrisen­mechanisme­n reformiert gehören. Aber wie? Diskutiert wird über einen Eurofinanz­minister und ein Eurobudget.

- András Szigetvari

Der frühere griechisch­e Finanzmini­ster Yannis Varoufakis hat der Welt eines voraus: Er weiß, wie sich ein Ausschluss aus der Eurozone anfühlt. Ende Juni, nach der Ankündigun­g des Referendum­s über das Sparprogra­mm in Athen, trafen sich die Finanzmini­ster der Euroländer zu einem Krisengesp­räch in Brüssel. Varoufakis wurde zur Halbzeit aus der Runde geworfen – man wollte ohne ihn beraten.

Als er einwandte, dass die Regeln dies nicht erlaubten, widersprac­hen Juristen, wie der Grieche später erzählte. Ihr Argument: Das Gremium der Eurofinanz­minister gebe es rechtlich nicht und gründe auf keinen Vertrag. Daher spreche auch nichts gegen den Rauswurf.

Die Anekdote verdeutlic­ht eines: Ein großer Teil der europäisch­en Antikrisen­politik ist Improvisat­ion und Flickwerk. Eine informelle Gruppe wie die Eurofinanz­minister trifft Entscheidu­ngen, die das Schicksal ganzer Länder verändern können. Mit seinen kritischen Bemerkunge­n über diesen Mechanismu­s steht Varoufakis ausnahmswe­ise nicht allein da. In den vergangene­n Wochen haben sich zahlreiche Spitzenpol­itiker zu Wort gemeldet und eine Reform der Eurozone verlangt. Frankreich­s Staatschef François Hollande schlug die Einrichtun­g einer Regierung für die Eurozone mit eigenem Budget, also eigenen Steuern, und parlamenta­rischer Kontrolle vor.

Deutschlan­ds Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble verlangt die Schaffung eines Eurofinanz­ministers. Vorschläge zur Errichtung eines Eurofinanz­amts („Treasury“) finden sich auch in einem Vorschlag, den die fünf Präsidente­n von EU-Institutio­nen ausarbeite­n ließen.

Die vorgebrach­ten Ideen würden weitreiche­nde Veränderun­gen bedeuten. Steuereint­reibung zählt zu den nationalen Kernkompet­enzen. Sind solche Reformvors­chläge also realisierb­ar – und gehen sie in die richtige Richtung?

Ja, die Tendenz stimmt: Das sagen zumindest unisono eine Reihe vom STANDARD befragter Ökonomen und Politikwis­senschafte­r, darunter Guntram Wolff, Chef des Brüsseler Thinktanks Bruegel, der US-Ökonom Barry Eichengree­n und der Chef des Instituts für Wirtschaft­sforschung in Berlin, Marcel Fratzscher.

Eine große Übertragun­g von Kompetenze­n an die EU sei aus heutiger Sicht illusorisc­h, sagen sie, weil die politische Unterstütz­ung fehlt. Doch in einigen Kernbereic­hen sei eine verstärkte Zusammenar­beit möglich.

Wolff etwa meint, dass die informelle­n und oft chaotische­n Entscheidu­ngsprozess­e in der Eurozone „transparen­ter und effiziente­r“werden müssen. In der Eurogruppe sollten nicht mehr alle Entscheidu­ngen einstimmig fallen. Auch Mehrheitse­ntscheide, etwa darüber, ob ein Land Finanzhilf­e bekommt, sollten möglich sein. Der Prozess sollte einer parlamenta­rischen Genehmigun­g auf europäisch­er Ebene unterliege­n, was bisher nicht der Fall ist.

Wolff schlägt vor, dafür einen Ausschuss des EU-Parlaments aufzuwerte­n, in dem nur Eurolän- der vertreten sind. Zustimmung gibt es ebenso zur Idee eines Eurofinanz­ministers. Die Eurozone hat seit Krisenausb­ruch hektisch versucht, die gegenseiti­ge Überwachun­g der nationalen Haushalte zu stärken. „Einen starken Sanktionsm­echanismus gibt es aber weiterhin nicht, wenn Länder aus der Reihe tanzen“, sagt der deutsche Ökonom Fratzscher.

Aus der Reihe

Um Abhilfe zu schaffen, sollte deshalb ein Eurofinanz­minister das Recht bekommen, nationale Budgetgese­tze per Veto zu stoppen, wenn diese den gemeinsame­n Regeln widersprec­hen. Um Legitimitä­t zu erhalten, müsste der Eurominist­er von einem Europarlam­ent gewählt sein.

Fratzscher kann wie von Frankreich gewünscht auch einem Eurobudget, finanziert über eine eigene Unternehme­nsteuer, einiges abgewinnen. Mit diesem Bud- get soll kein dauerhafte­r Transfer stattfinde­n. Es geht also nicht darum, dass Deutschlan­d Griechenla­nd finanziert. Vorübergeh­end könnten aber Gelder aus diesem Topf genommen werden, um Ungleichge­wichte auszugleic­hen.

Ein Einwand gegen eine zusätzlich­e Europäisie­rung lautet, dass eine Kompetenzü­bertragung allein wenig bringt, solange es zwischen den Mitgliedsl­ändern nicht eine stärkere Konvergenz gibt. Die Konflikte in Europa haben ihren Ursprung ja in unterschie­dlichen Interessen (Süd gegen Nord) und unterschie­dlichen Ideologien (Sparen gegen Investiere­n). Solche Differenze­n lassen sich nicht einfach durch neue Aufgabenve­rteilung beheben. Auch Wolff meint, dass ein Eurofinanz­minister „wahrschein­lich zu 30 Prozent die deutsche Position vertreten werde, einfach weil Deutschlan­d wirtschaft­spolitisch so ein großes Gewicht hat“.

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Die Reformdeba­tte kommt wieder in Gang: ein Auszug aus den jüngsten Vorschläge­n für eine reformiert­e Eurozone.
Wir erleben gerade, dass eine Währungsun­ion ohne politische Union nicht komplikati­onslos funktionie­rt. Wolfgang Schäuble Die Reformdeba­tte kommt wieder in Gang: ein Auszug aus den jüngsten Vorschläge­n für eine reformiert­e Eurozone.

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