Der Standard

„Jede Reform würde den Haircut automatisc­h erhöhen“

Der US-Ökonom Barry Eichengree­n schlägt eine spezielle Vereinbaru­ng vor, um Griechenla­nds Schuldenpr­oblem zu lösen. Motto: Quidproquo.

- András Szigetvari

INTERVIEW: Standard: Sie haben einen Vorschlag erarbeitet, der die Konflikte zwischen Griechenla­nd und seinen Gläubigern ein für alle Mal lösen soll. Wie sieht Ihr Plan aus? Eichengree­n: Griechenla­nd braucht einen Schuldensc­hnitt. Doch die Regierung in Athen tut sich aus innenpolit­ischen Gründen schwer, die nötigen strukturel­len Reformen umzusetzen. Deutschlan­d seinerseit­s will, dass Griechenla­nd zuerst reformiert – erst dann ist Berlin bereit, über einen Haircut zu sprechen. Mein simpler Vorschlag lautet: Berlin und Athen sollen einen Vertrag aushandeln, wonach Griechenla­nds Schulden automatisc­h er- lassen werden, wenn Athen bestimmte Reformschr­itte umsetzt. Eine unabhängig­e Kommission, deren Mitglieder von beiden Seiten ernannt werden, würde überwachen, ob die Vereinbaru­ngen auch eingehalte­n werden.

Standard: Was sind die Vorteile? Eichengree­n: Die griechisch­e Regierung hätte ein stärkeres Eigeninter­esse daran, Reformen umzusetzen. Deutschlan­d als wichtigste­s Gläubigerl­and hätte die Sicherheit, dass die Griechen nicht nur leere Versprechu­ngen abgeben. Und die Gläubiger würden zumindest einen Teil ihrer Griechenla­ndkredite zurückbe- kommen. Wenn sich nichts ändert und das Programm scheitert, ist ja vermutlich das ganze Geld der übrigen Euroländer verloren.

Standard: Wie hoch wäre die Entschuldu­ng der Griechen? Eichengree­n: Variabel. Jede zusätzlich­e Reform würde den Schuldensc­hnitt automatisc­h erhöhen. Das wäre ein wichtiges Argument in den innergriec­hischen Debatten. Ob Bäcker, Pharmazeut oder Taxifahrer: Viele Berufsgrup­pen sind gegen Veränderun­gen, weil sie Angst vor Einbußen haben. Wenn die Regierung ihnen sagen könnte: „Stimmt unserem Programm zu, denn dann sinken die Staatsschu­lden und vielleicht auch bald die Steuerlast“, wäre das ein wichtiges Argument. Standard: Gibt es ein historisch­es Vorbild für Ihren Plan? Eichengree­n: Ja, in den 1990er-Jahren wurde vom Pariser Klub, dem auch Deutschlan­d angehört, eine ähnliche Vereinbaru­ng mit Polen getroffen. Den Polen wurde eine Entschuldu­ng zugesagt, wenn das Land bestimmte Reformen umsetzt, die der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) vorschlug und überwachte. Unsere Idee ist ähnlich. Nur ist der IWF in Griechenla­nd nicht beliebt, weshalb wir seine Rolle durch die unabhängig­e Kommission ersetzen würden.

BARRY EICHENGREE­N (Jg. 1952) ist Professor für Ökonomie und Politik an der University of California, Berkeley. Er forscht über Finanzkris­en und die Geschichte des Finanzsyst­ems.

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Foto: Cremer Eichengree­ns Vorbild ist der Umgang mit Polen.

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