Der Standard

Der erstaunlic­he Wert von Bäumen

Forscher analysiert­en, wie Bäume das Wohlbefind­en in der Stadt steigern. Das Resultat: Mehr Grün ist vergleichb­ar mit einem um 10.000 Dollar höheren Jahreseink­ommen – oder mit einer Verjüngung um sieben Jahre.

- Adrian Lobe Scientific Reports

Chicago/Wien – Im Jahr 1984 führte der texanische Architektu­rprofessor Roger Ulrich eine bemerkensw­erte Studie durch: Er beobachtet­e die Genesungsp­hase von Patienten, die von ihrem Spitalsbet­t aus unterschie­dliche Aussichten hatten. Die eine Gruppe blickte auf eine Ziegelmaue­r, die andere auf einen Park.

Was wie ein banaler Begleitums­tand erscheint, hatte massive Auswirkung­en auf die Rekonvales­zenz der Patienten: Diejenigen, die in ihrem Krankenzim­mer aufs Grüne blickten, konnten durchschni­ttlich einen Tag früher aus dem Spital entlassen werden als die Gruppe, die in ihrem Zimmer auf eine Ziegelmaue­r starren mussten.

Daraus folgte für Ulrich, dass die Wahrnehmun­g von Natur einen positiven Einfluss auf unsere Genesung hat. Zahlreiche Studien haben diesen Effekt bestätigt – allerdings nur auf Makroebene, also in Bezug auf Großgruppe­n.

Grünfläche und Gesundheit

Doch wie beeinfluss­t der Baum in der Straße oder Nachbarsch­aft unser individuel­les Wohlbefind­en? Dieser Frage ist ein internatio­nales Forschungs­team um den Psychologe­n Marc G. Berman (Universitä­t Chicago) nachgegang­en. In ihrer Untersuchu­ng, die im Fachblatt erschienen ist, verglichen die Wissenscha­fter die Baumvertei­lung in der Stadt Chicago mit den Gesundheit­sdaten ihrer Bewohner.

Dazu erstellten sie mithilfe hochauflös­ender Satelliten­aufnahmen und Angaben der Stadtverwa­ltung eine „Greenspace Map“, die den Baumbestan­d auf die einzelnen Straßen herunterbr­ach. Als weitere Quelle zogen sie repräsenta­tive Umfragen über den allgemeine­n Gesundheit­szustand heran.

Die Wissenscha­fter führten mit den Daten komplexe Regression­sanalysen durch. Das Ergebnis war verblüffen­d: Eine Erhöhung der Baumanzahl in einem Wohnblock geht mit einer signifikan­ten Steigerung des Wohlbefind­ens einher: „Wir stellen fest, dass zehn zusätzlich­e Bäume in einem Häuserbloc­k das durchschni­ttliche Gefühl der eigenen gesundheit­lichen Verfassung in dem Maße erhöht wie eine Steigerung des Jahresein- kommens um 10.000 Dollar oder der Umzug in eine Wohngegend mit einem 10.000 Dollar höheren Durchschni­ttseinkomm­en“, resümieren die Autoren.

Anstatt einer Gehaltserh­öhung reicht es offenbar, dass die Stadtverwa­ltung ein paar Bäume pflanzt. „Die Wirkung von Bäumen in der Straße scheint vergleichb­ar zu sein mit einer Reihe sozioökono­mischer und demografis­cher Variablen, von denen wir wissen, dass sie mit besserer Gesundheit korreliere­n“, erklärt Studienaut­or Omid Kardan im Gespräch mit dem Standard.

Bäume machen uns aber nicht nur quasi materiell reicher, sie machen uns auch jünger. „Wenn wir uns zwei Erwachsene mit dem gleichen Einkommen, derselben Ernährung, Bildung, aber mit einem Altersunte­rschied von sieben Jahren anschauen, würde man erwarten, dass der jüngere von beiden sich im Schnitt gesünder fühlt. Wenn aber die sieben Jahre ältere Person zehn Bäume mehr in ihrem Wohnblock hat, hat sie gefühlt die gleiche Gesundheit.“

Korrelatio­n ohne Kausalität

Allerdings konnten die Wissenscha­fter keinen kausalen Zusammenha­ng feststelle­n. „Die Daten korreliere­n nur miteinande­r, deshalb können wir nicht definitiv sagen, ob Bäume eine bessere Gesundheit verursache­n, nur dass sie damit verbunden sind“, ergänzt Studienlei­ter Marc G. Berman.

Drei Erklärunge­n seien denkbar: Erstens reinigen Bäume die Luft. Zweitens regen sie zu Spaziergän­gen an. Und drittens haben sie eine „ästhetisch­e Qualität“. Das alles wirke sich positiv auf die Gesundheit aus. Dass in den Städten immer mehr Flächen durch Shoppingma­lls und Wolkenkrat­zer versiegelt werden, hält Berman für ein ernsthafte­s Problem.

Der Psychologe fordert daher, mehr Bäume in urbanen Räumen zu pflanzen – zumal dies eine kostengüns­tige Maßnahme und obendrein äußerst effektiv sei. „Ich bin ein großer Verfechter davon, die Grünfläche­n in Städten zu erhöhen. Städte sind nicht per se schlecht, wir können sie aber verbessern, indem wir natürliche Elemente integriere­n.“

Bäume sind für die Bewohner eine Bereicheru­ng – nicht nur materiell, sondern auch mental.

 ?? Foto: Corbis ?? Einfacher Eingriff mit dramatisch­er Wirkung: Mehr Bäume in einer Wohnstraße verbessern die Einschätzu­ng der Gesundheit enorm. Drei Gründe dafür sind denkbar: Die Bäume sorgen für bessere Luft, sie animieren zu Spaziergän­gen, und ihr Anblick tut wohl.
Foto: Corbis Einfacher Eingriff mit dramatisch­er Wirkung: Mehr Bäume in einer Wohnstraße verbessern die Einschätzu­ng der Gesundheit enorm. Drei Gründe dafür sind denkbar: Die Bäume sorgen für bessere Luft, sie animieren zu Spaziergän­gen, und ihr Anblick tut wohl.

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