Der Standard

Der falsche Freund von George W.

Fast unmittelba­r nach seinem Tod erscheint der letzte Roman des US-amerikanis­chen Meistererz­ählers E. L. Doctorow jetzt auch auf Deutsch: „In Andrews Kopf“handelt von einem Denker und Unglückswu­rm. Ein überkonstr­uiertes Alterswerk, nicht ohne Brillanz.

- Ronald Pohl In Andrews Kopf

Wien – Die Literatur kennt eine Vielzahl von Narren. Es gibt edle Tölpel, Toren, die man wegen ihrer bloßen Ungeschick­lichkeit ins Herz schließt. Häufig genug stellt Naivität geradezu eine Grundvorau­ssetzung für gehobene Erzählkuns­t dar. Ein Romanautor gebraucht Sprachrohr­e umso lieber, je unverkrümm­ter sie sind.

Der Titelheld im letzten Roman des großen US-Autors E. L. Doctorow (1931–2015) ist aus verbogenem Holz. Von sich selbst erzählt Andrew am liebsten in der dritten Person. Sein Bericht in eigener Sache hebt reichlich großspurig an: „Ich kann Ihnen von meinem Freund Andrew erzählen, dem Kognitions­wissenscha­ftler.“

Eine solche Einleitung ist ehrfurchtg­ebietend. Was jedoch folgt, ist eine kaum abreißende Kette von Pleiten, Pech und Pannen. Andrew vermeidet die erste Person Singular bewusst – es ist natürlich niemand anderer als er selbst, der da spricht. Versuche, unter den Bedingunge­n des American Way of Life ein erfülltes Leben zu führen, missraten ihm. Was noch schwerer wiegt, ist eine Unbedenkli­chkeit, die sich gegen die nächsten Mitmensche­n wendet und für diese verderblic­h ist.

Falsche Dosierung

Andrew verliert die erste Frau, weil er das gemeinsame Kind noch im Säuglingsa­lter durch die falsche Dosierung eines Medikament­s vergiftet. Ein Fehler des verschreib­enden Arztes, doch sein Verschulde­n bekennt der Vater freimütig ein. Die zweite Gefährtin, ein blonder Cheerleade­rTraum, schenkt ihm eine weitere Tochter. Briony, kaum halb so alt wie ihr neunmalklu­ger Mann, stirbt im Ascheregen von 9/11. Der wirre Wissenscha­fter packt die Babytrage mit dem halbverwai­s- ten Kind und händigt das Würmchen seiner ersten Frau aus.

Mit der Übergabesi­tuation an Marthas Haustür, einer Elegie in Schneeweiß, hebt E. L. Doctorows Schwanenge­sang als Romancier furios an. Der postmodern­e Meister historisch­er Eulenspieg­eleien starb erst unlängst, am 21. Juli 2015, an Lungenkreb­s. Mit dem Erzähler von gibt es keine Freundscha­ft zu schließen. Andrew ist der unerträgli­chste Besserwiss­er, der sich denken lässt. Das hat ausgerechn­et mit dem Denken zu tun.

Leib- und Magentheme­n

Die physiologi­schen Bedingunge­n unseres Denkens sind Andrews Leib- und Magenthema. Er fragt sich zum Beispiel, ob es nicht unser Gehirn ist, das selbsttäti­g diejenigen Entscheidu­ngen trifft, die wir anschließe­nd, als moralische Subjekte, zu vertreten haben. Sehr viel freimütige­r kann man die Verantwort­ung für das eigene, häufig verkorkste Tun nicht an „unbekannt“abtreten.

Doctorow denkt jedoch um eine Ecke weiter. Unwillkürl­ich erinnert man sich an seinen Meisterrom­an Ragtime (1975), an den Auftritt Sigmund Freuds in New York. Hieß es nicht bereits damals, Freud hätte mit seiner Lehre vom Unbewusste­n die Sexualität in Amerika für immer zerstört?

Hinter der Einsicht in die desaströse­n Folgen der psychoanal­ytischen Kur lauert der grämliche Karl-Kraus-Witz, wonach die Psychoanal­yse die Krankheit ist, die sie vorgibt zu heilen. In Andrews Kopf sieht es erfreulich aufgeräumt aus. Der Grund für sein durchwegs „vernünftig­es“Sprechen ist jedoch kein Verdienst, das er sich an die Fahnen heften könnte. Sein Gegenüber ist Psychiater. Andrew spricht als Hirnforsch­er von vornherein so, wie er glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Aufrichtig­keit ist in der Erzählkuns­t kein Wert an sich.

Und so verwandelt sich Doctorows Alterswerk in eine Spiegelkam­mer. Jede erzähleris­che Fläche ist vom Hauch der Uneigentli­chkeit wie beschlagen. Man registrier­t E. L. Doctorows Ehrgeiz, die US-Geschichte der letzten Jahre mit geringem Aufwand zu erzählen. Der schmale Roman strotzt vor Gekonnthei­t. Noch einmal öffnet der Zauberer seine Lade. Andrew, der aus lauter Ungeschick­lichkeit andere Menschen „totdrückt“, landet auf- grund einer bizarren Wendung im Weißen Haus. Er sitzt als Studienkol­lege (!) und Hofnarr George W. Bushs im Oval Office. Dort schneidet er den Beratern „Chaingang“und „Rumbum“Fratzen und landet im Narrenturm. Ein überkonstr­uiertes Buch scheitert an der Satire. Tölpel und Toren sind eben nicht von vornherein lustig.

Dennoch sollte man in Andrews Kopf vorbeigesc­haut haben. E. L. Doctorow: „In Andrews Kopf“. Roman. Aus dem amerikanis­chen Englisch von Gertraude Krueger. 210 Seiten / € 19,60. Kiepenheue­r & Witsch, Köln 2015

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Edgar Lawrence Doctorow (1931–2015) erzählt auf engstemRau­m von Gott und der Welt: ein bizarres Vergnügen.

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