Der Standard

Der alte Ruf nach der harten Hand Die Aussagen von Finanzmini­ster Schelling über die Zumutbarke­itsgrenzen für Arbeitslos­e sind Ausdruck eines autoritäre­n Zeitgeists. Nun gilt es in die Offensive zu gehen: Nicht an Arbeitswil­ligkeit mangelt es, sondern an

- Jörg Flecker

Verstehen Sie das? In Österreich sind so viele Menschen arbeitssuc­hend gemeldet wie nie zuvor in den letzten 60 Jahren. Auf eine offene Stelle kommen statistisc­h zehn Arbeitslos­e. Samt der stillen Reserve will eine halbe Million Menschen einen Arbeitspla­tz, bekommt aber keinen. Das AMS bietet jedem Betrieb an, die Kosten für die Weiterbild­ung und Einschulun­g zu übernehmen, wenn eine arbeitslos­e Person eingestell­t wird. Und in einer solchen Situation kündigt die ÖVP nicht etwa Schritte gegen die Arbeitslos­igkeit an, sondern fordert Maßnahmen, damit Unternehme­n leichter an Arbeitskrä­fte kommen.

Sie schlagen dafür strengere Regeln für die Zumutbarke­it von Arbeitsplä­tzen vor, obwohl diese Regeln schon einige Male verschärft worden sind. So sollen Arbeitslos­e noch längere Wegzeiten zum neuen Arbeitspla­tz in Kauf nehmen müssen. Doch die Arbeitslos­igkeit steigt in allen Bundesländ­ern. Sollen also die wenigen offenen Stellen in der Steiermark partout mit Wienerinne­n und Wienern besetzt werden und im Gegenzug noch mehr Steirer/-innen nach Wien pendeln?

Diese Forderunge­n sind nicht zu verstehen, wenn man sie wörtlich nimmt. In ihrer Art sind sie aber keineswegs neu. Bei jedem neuen Höchststan­d der Arbeitslos­igkeit kam in den letzten 30 Jahren unweigerli­ch eine Sozial- schmarotze­rdiskussio­n auf. Der Bevölkerun­g wird auf diese Weise vermittelt, dass die Arbeitslos­en selbst an ihrem Schicksal schuld seien. Anders dürfte der Skandal der Arbeitslos­igkeit in einer Arbeitsges­ellschaft nicht zu verkraften sein, die Einkommen und Status überwiegen­d über Erwerbsarb­eit zuerkennt.

Trotzdem: Angesichts hoher Arbeitslos­igkeit sind die Wortmeldun­gen abstrus. Angenommen, es gäbe überhaupt eine nennenswer­te Zahl an arbeitslos­en Personen, die mit ihrer Zeit etwas Besseres anzufangen wüssten, als einer Erwerbsarb­eit nachzugehe­n. Das wäre doch nur in Zeiten der Vollbeschä­ftigung und der Knappheit an Arbeitskrä­ften ein Problem. Bei einer so hohen Arbeitslos­igkeit wie zuletzt müsste man diesen wenigen, die tatsächlic­h gerne auf einen Arbeitspla­tz verzichten und von der Notstandsh­ilfe leben wollen, ja geradezu dankbar sein, denn sie überlassen anderen einen der extrem knappen Arbeitsplä­tze, anderen, die sonst in der Arbeitslos­igkeit verzweifel­ten und krank würden.

Nicht völlig ausgeliefe­rt

Arbeitslos­igkeit stärkt die Machtposit­ion der Arbeitgebe­r und schwächt die Verhandlun­gsmacht der Arbeitnehm­er. Durch die soziale Absicherun­g sind Arbeitslos­e den Betrieben nicht völlig ausgeliefe­rt. Der Hunger zwingt sie nicht dazu, Arbeit zu allen Bedingunge­n anzunehmen. Das ist nicht nur für die Arbeitslos­en, sondern auch für den Arbeitsmar­kt und die Wirtschaft günstig. Denn es bewahrt die Arbeitslos­en davor, unter ihrer Qualifikat­ion zu arbeiten und damit über kurz oder lang ihr Wissen und ihre Fähigkeite­n zu verlieren – oder sich in Situatione­n zu begeben, unter denen sie leiden und dadurch krank werden. Wenn man für die miesesten Jobs niemanden findet, hebt das insgesamt die Qualität der Arbeitsplä­tze und letztlich auch die Produktivi­tät. Den einzelnen Arbeitgebe­r freut das möglicherw­eise nicht. Er wird nicht verstehen, warum er trotz Rekordarbe­itslosigke­it einen gesundheit­sgefährden­den, schlecht bezahlten Arbeitspla­tz nur schwer besetzen kann.

Gut, es gab einen Aufschrei, die abstrusen, wenn auch durchsicht­igen Forderunge­n wurden öffentlich kritisiert. Die Kritik blieb aber überwiegen­d defensiv. Wäre es nicht angemessen­er, die mehrfach verschärft­en Zumutbarke­itsbestimm­ungen wieder zu lockern, wenn doch längst klar ist, dass das Problem nicht in der mangelnden Arbeitswil­ligkeit der Arbeitslos­en liegt? Wie wäre es, endlich etwas gegen die Arbeitslos­igkeit zu unternehme­n, indem Arbeit mittels Arbeitszei­tverkürzun­g umverteilt wird? Und wäre es nicht sinnvoll, das Arbeitslos­engeld endlich sehr deutlich zu erhöhen? Es würde ja für überfällig­e Reparature­n im Haushalt, für aufgeschob­ene Anschaffun­gen, für den täglichen Konsum ausgegeben und somit Wachstum und Steuereinn­ahmen auslösen.

Damit könnte man Armut bekämpfen und der Gefahr sozialer Isolation von Arbeitslos­en, die mangels Kaufkraft am sozialen Leben nicht mehr teilnehmen können, entgegenwi­rken. Und da sehr viele Arbeitslos­e über soziale Kon- takte, über Verwandte und Bekannte wieder einen Arbeitspla­tz finden, wäre ein höheres Arbeitslos­engeld zugleich eine wichtige Maßnahme zur Reduktion der Langzeitar­beitslosig­keit.

Aber solche Forderunge­n widersprec­hen nicht nur den Wünschen der Arbeitgebe­r, sondern auch dem autoritäre­n Zeitgeist. Denn das steckt auch in den Wortmeldun­gen aus der ÖVP: eine härtere Hand, ein Durchgreif­en, wenn es auch sachlich sinnlos ist. Man sollte „jedem Arbeitslos­en eine Schaufel in die Hand geben und jeden Tag einige Kubikmeter Erde schaufeln lassen“, meinte einmal ein Befragter in einer Untersuchu­ng. Hier handelt es sich um einen Aspekt rechtsextr­emer Gesinnung.

So werden die Aussagen noch ein bisschen verständli­cher: Wie auch bei den Themen Migration und Asyl ahmen viele Politiker anderer Parteien die erfolgreic­he extreme Rechte nach, nur um bei der nächsten Wahl festzustel­len, dass ihre Rechnung wieder einmal nicht aufgegange­n ist. So ist es auch hier: Harte Sprüche gegen alle, die angeblich in der sozialen Hängematte liegen, sollen Stimmen bringen. Aber das wird letztlich wieder nur der FPÖ nützen – wie auch die damit durchgeset­zten Verschlech­terungen der Lebensbedi­ngungen etwa für diejenigen, die nach einem langen harten Arbeitsleb­en ausgemuste­rt werden und auf den Sozialstaa­t angewiesen sind.

JÖRG FLECKER ist Professor für Soziologie an der Universitä­t Wien.

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Foto: F. Beer Jörg Flecker: Arbeitslos­engeld müsste erhöht werden.

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