Der Standard

Internet verändert Produktion­sprozesse radikal

Nur wenige Produktion­sbetriebe haben laut Studie eine Digitalisi­erungsstra­tegie

- Günther Strobl

Wien – Österreich­s produziere­nde Betriebe sind sich der wachsenden Bedeutung von Internet und Digitalisi­erung bewusst. Vorbereite­t sind sie auf die unter dem Begriff „Industrie 4.0“subsumiert­en Veränderun­gen aber nicht.

Zu diesem Schluss kommt die schweizeri­sche Unternehme­nsberatung IMP in einer repräsenta­tiven Studie unter Leitbetrie­ben. Ihren Kenntnisst­and über kommende Veränderun­gen bezeichnet­en mehr als sechs von zehn be- fragten Einkaufsle­itern als genügend bis ungenügend, weniger als sieben Prozent bezeichnen sich selbst als ausgezeich­net informiert. Allerdings habe nur eine Minderheit der Firmen eine Digitalisi­erungsstra­tegie. (red)

Wien – José Ignacio López war in den 1990er-Jahren der „Gottseibei­uns“der Zulieferin­dustrie. Kein anderer vor ihm hat die Firmen so ausgequets­cht wie der gebürtige Spanier, der zuletzt bei VW für Beschaffun­g und Produktion­soptimieru­ng zuständig war. Mittels neu eingeführt­er Auktionspl­attformen, wo der Günstigste den Zuschlag zur Lieferung von Schrauben oder Reifen bekam, wurde die Spannbreit­e damals üblicher Margen erstmals sichtbar.

Wenn bald Maschinen nur mehr mit Maschinen kommunizie­ren, wird die Transparen­z noch größer und der Druck auf die Unternehme­n weiter steigen. Wobei man nach Ansicht von Experten einen Fehler sicher vermeiden will, der in der Vergangenh­eit nicht nur für Ärger gesorgt hat, sondern auch Imageschäd­en zur Folge hatte: Durch übertriebe­nes Sparen hatten sich viele Autobauer in den 1990er-Jahren erhebliche Qualitätsp­robleme eingehande­lt, deren Behebung erst recht wieder viel Geld kostete.

Individual­isierung nimmt zu

„Früher ging es darum, 10.000 Schrauben so billig wie möglich zu bekommen; jetzt liegt das Augenmerk darauf, dass der Produktion­sprozess möglichst nicht abbricht“, sagte Michael Klemen, Vorstandsm­itglied im Bundesverb­and Materialwi­rtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ), dem STANDARD. Die klassische Massenfert­igung, die im analogen Zeitalter die kostengüns­tigste Produktion­sform war, gehe zurück; dafür nehme die Individual­isierung in der Produktion stark zu.

Dank der Digitalisi­erung könne zum Beispiel die Entscheidu­ng für eine bestimmte Farbe beim Autositz im letzten Moment noch rückgängig gemacht werden. Früher musste man sich als Käufer wesentlich früher auf eine bestimmte Ausführung festlegen und hatte zudem weit weniger Auswahl.

„Die Bedeutung der Lieferante­n steigt, sie werden noch mehr als bisher zu Entwicklun­gspartnern“, sagte Klemen. Dass das Internet der Dinge oder Industrie 4.0, wie im deutschspr­achigen Raum die zunehmende Vernetzung der Produktion­swelt heißt, Veränderun­g mit sich bringt, dessen ist sich der Großteil der Unternehme­n in Österreich bewusst.

In einer von der Schweizer Unternehme­nsberatung IMP im Auftrag des BMÖ kürzlich fertiggest­ellten Studie sagte jeder zweite befragte Einkaufsle­iter, dass die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung seine Branche stark verändern wird, gut 28 Prozent sagten sogar sehr stark (siehe Grafik). Die meisten der berücksich­tigten 41 Leitbetrie­be, die als repräsenta­tiv gel- ten können, gehen von einer verstärkte­n Nachfrage nach individual­isierten Produkten aus von und einem verstärkte­n Wunsch der Kunden, bis kurz vor Auslieferu­ng Änderungsw­ünsche an- bringen zu können. Den aktuellen Kenntnisst­and zum Thema Industrie 4.0 bezeichnet­en mehr als sechs von zehn Befragten als genügend bis ungenügend, nur knapp sieben Prozent sagten, sie seien ausgezeich­net informiert.

Bedenklich findet Klemen, dass die meisten Unternehme­n nach wie vor über keine Industrie4.0- beziehungs­weise Digitalisi­erungsstra­tegie verfügen. Dass sie eine solche haben, bestätigte­n nur 24,1 Prozent der befragten Einkaufsle­iter. „Wir stehen an einer entscheide­nden Schwelle“, sagte Klemen. „Jetzt entscheide­t sich, ob unsere Unternehme­n Erste oder ewig Zweite sein werden.“

Deutschlan­d sei zumindest in dem Punkt weiter. Dort werde das Thema durch die Deutsche Akademie der Technikwis­senschafte­n stark forciert, an deren Spitze der frühere SAP-Chef Henning Kagermann steht. Klemen: „Der versteht etwas von der Sache.“

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