Der Standard

Jon Stewarts letzte „Daily Show“

Jon Stewart brachte in „Daily Show“mit schonungsl­oser Präzision politische Zustände auf den Punkt

-

Washington – Als Jon Stewart im Winter seinen Abschied ankündigte, tat er es mit derselben schnörkell­osen Aufrichtig­keit, die im Studio zu seinem Markenzeic­hen geworden war. Siebzehn Jahre lang moderiere er nun schon die

Daily Show. So lange habe er es noch nirgends ausgehalte­n. Und einen ruhelosen Gastgeber, wie er nun mal einer geworden sei, wolle er seinem Publikum nicht zumuten. Als dennoch Tränen kamen, versuchte es Stewart mit einem Witz. „Was ist das für eine Flüssigkei­t? Was sind das für Gefühle?“

Am Donnerstag nimmt er tatsächlic­h Abschied. Mit Stewart geht nicht nur eine Kult-, sondern auch eine Vertrauens­figur, einer, mit dem das linksliber­ale Amerika auf einer Wellenläng­e lag. Viermal die Woche arbeitete er spätabends das Zeitgesche­hen auf, ließ Nachrichte­n Revue passieren, um durch ironische Zuspitzung das Wesentlich­e herauszuar­beiten. Besonders für die Jüngeren war Stewart der Anchorman, auf den man sich verlassen konnte, der die Meldungen des Tages kritisch ordnete und obendrein Sprechblas­en mit einer intellektu­ellen Schärfe zerpflückt­e, dass selbst routiniert­e Abgeordnet­e vor dem Moment zitterten, in dem sie von ihm auseinande­rgenommen wurden. Sein feines Bürsten gegen den Strich mag Wurzeln in seiner Kindheit haben. An der Schule in New Jersey ist er oft gehänselt worden, weil er das einzige jüdische Kind der Klasse war.

Sein Debüt gab er am 11. Jänner 1999. Damals stritt das Land darüber, ob Präsident Bill Clinton wegen der Sexaffäre mit der Praktikant­in Monica Lewinsky seines Amtes enthoben werden sollte.

Als am 11. September 2001 die New Yorker Zwillingst­ürme in Schutt und Asche fielen, reagierte Stewart mit einem eindrucks- vollen Monolog. „Von meiner Wohnung ging der Blick immer aufs World Trade Center. Diesen Blick gibt es nicht mehr, aber wisst ihr, worauf ich jetzt schaue? Auf die Freiheitss­tatue. Und das ist nicht zu schlagen.“

Seine Sympathien für Barack Obama verhehlte er nicht. Als der Umjubelte dann im Weißen Haus residierte und die Hoffnungen seiner Anhänger enttäuscht­e, als das Gefangenen­lager Guantánamo offen blieb und der von George W. Bush begonnene Drohnenkri­eg eskalierte, war es Stewart, der den Frust der Linken mit schonungs- loser Präzision auf den Punkt brachte. In einem Interview mit ihm räumte Obama in einem Anflug von Resignatio­n ein, sein Wahlslogan hätte wohl besser anders gelautet: „Yes we can, but …“

Dem Aufstieg der Tea Party setzte Stewart eine Kundgebung vorm Kapitol entgegen, bei der er vor zehntausen­den Zuschauern dazu aufrief, sich statt platter Parolen endlich wieder des gesunden Menschenve­rstands zu bedienen.

Die meisten Probleme gelöst

Im vergangene­n Jahr hat Stewart einen Film gedreht, in Rosewater erzählte er die wahre Geschichte des kanadisch-iranischen Journalist­en Maziar Bahari, der 118 Tage im Evin-Gefängnis in Teheran eingesperr­t war. Es gibt Kenner der Szene, die glauben, dass Stewart stärker ins Filmgeschä­ft einsteigen will. Wie auch immer, seinem Nachfolger Trevor Noah, einem Südafrikan­er, hat er eine charakteri­stisch launige Zeile mit auf den Weg gegeben. Er räume seinen Stuhl im beruhigend­en Wissen darum, „dass die meisten Probleme der Welt durch uns, die Daily Show“, gelöst worden seien. „Leider gibt es noch ein paar dunkle Ecken, die unser Besen der Gerechtigk­eit noch nicht erreicht hat.“(fh)

 ??  ??
 ??  ?? US-Präsident Barack Obama machte im Wortduell mit Jon Stewart gute Figur, musste aber einräumen, Hoffnungen enttäuscht zu haben.
US-Präsident Barack Obama machte im Wortduell mit Jon Stewart gute Figur, musste aber einräumen, Hoffnungen enttäuscht zu haben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria