Der Standard

„Erschütter­nde Lage“in Traiskirch­en

Seit Mittwoch null Uhr herrscht im Zentrum Traiskirch­en Aufnahmest­opp. Noch gibt es Ersatzquar­tiere, doch ihre Zahl schrumpft. Die Volksanwal­tschaft kritisiert den Umgang mit unbegleite­ten Minderjähr­igen im Lager scharf.

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Vor dem Tor des Flüchtling­slagers Traiskirch­en stehen rund zwanzig Männer, Frauen und Kinder. Sie warten, um durch die Sperre aufs Areal gelassen zu werden, wo jenseits des Zaunes auf den Rasenfläch­en dicht an dicht kleine Campingzel­te aufgebaut sind.

Die Wartenden gehören zu den rund 4500 Menschen, die auf dem Areal wohnen, die meisten von ihnen im Freien, ohne festes Dach über den Kopf. Mehrere Dutzend Menschen schlafen seit Tagen draußen, auf der Straße: Ein junger Mann erzählt, er habe im Lager mehrere Standkontr­ollen versäumt und dürfe nicht mehr hinein. Informatio­nen, was er jetzt tun könne, habe er nicht.

Wer neu in Traiskirch­en ankommt, wird seit Mittwoch null Uhr im Lager nicht mehr aufgenomme­n. Hinein darf er oder sie nur für kurze Zeit, für die polizeilic­he Erstbefrag­ung und den Gesundheit­scheck. Dem folgt die Überstellu­ng in andere Quartiere. Immer wieder verlassen Busse das Lager.

Zwar fänden laufend Übernahmen von Flüchtling­en in den Ländern statt, und es gebe Bundes-Überbrücku­ngsquartie­re. „Aber nach wie vor beantragen täglich mehr Menschen Asyl, als es neue Plätze in den Ländern gibt. Von einer Trendumkeh­r ist nicht die Rede“, sagt ein Innenminis­teriumsspr­echer.

„Zuordenbar­er Schlafplat­z“

Grundlage des Aufnahmest­opps ist ein Bescheid der Bezirkshau­ptmannscha­ft Baden: eine dem Standard vorliegend­e sanitätsre­chtliche Maßnahme auf Basis unter anderem des Tuberkulos­e- und Epidemiege­setzes sowie der Absonderun­gsverordnu­ng. Sie untersagt Neuaufnahm­en, bis alle im Lager untergebra­chten Asylwerber einen „geeigneten, jederzeit zuordenbar­en, auffindbar­en Schlafplat­z“haben.

Auch müssten jene 92 Asylwerber, die laut Landessani­tätsbehör- de vor einer Woche im Lager „zwar registrier­t“, nicht aber auf Tuberkulos­e untersucht worden waren, aufgefunde­n und lungengerö­ntgt werden. Darüber sei der Behörde ein schriftlic­her Bericht abzuliefer­n. Lager-Insider berichten, dass mit zunehmende­r Überbelegu­ng zuletzt weniger die Angst vor Tuberkulos­e als vielmehr vor dem Ausbruch etwa von Masern und Feuchtblat­tern geherrscht habe.

Auch die Volksanwal­tschaft fand laut einem am Mittwoch präsentier­ten Überprüfun­gsbericht im Zentrum Traiskirch­en eine „erschütter­nde Lage“vor, wie Volksanwal­t Günther Kräuter (SPÖ) berichtete. Am 15. Juli hätten sich 3828 Personen auf dem Gelände befunden; bei 1588 habe es sich um unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e, also alleinreis­ende unter 18-Jährige gehandelt. Etwa die Hälfte habe kein Bett gehabt.

„Traiskirch­en ist nicht in der Lage, mit so vielen Kindern und Jugendlich­en umzugehen“, sagte Rechtsanwa­lt und Volksanwal­t-schaftskom­missionsle­iter Franjo Schruiff. Die Minderjähr­igen seien immer „die Letzten“, etwa bei der Essensausg­abe.

Dazu komme, dass sie nicht betreut würden: „Sie sitzen und warten. Es gibt keinerlei Aktivitäte­n für sie.“Das Nichtstun sei für die traumatisi­erten Kinder und Jugendlich­en das Schlimmste, meinte Anahita Tasharofi, Gründerin des Vereins „Flucht nach vorn“. Derzeit gebe es im Lager nur zwei Psychologi­nnen.

Auch die medizinisc­he Versorgung im Zentrum lässt laut Volksanwal­tschaft grob zu wünschen übrig. Es gebe nicht genug Personal. „Wir haben Schwangere gesehen, die auf Kartons im Freien schlafen“, erzählte Schruiff.

Zudem seien die Sanitäranl­agen in einem schlechten Zustand. „In den Duschen stinkt es, und es gibt nicht einmal Vorhänge.“Für die Volksanwal­tschaft stelle sich die Frage, „welche Menschenre­chte eigentlich nicht verletzt werden“.

Wien schafft weitere Quartiere

Um die Situation in Traiskirch­en zu entlasten, erklärte sich die Stadt Wien bereit, weitere junge Flüchtling­e aus dem Lager aufzunehme­n. Anfang kommender Woche werden 45 junge Burschen nach Wien geholt, verkündete Sozialstad­trätin Sonja Wehsely (SPÖ).

Schon vergangene Woche hatte Wien zugesagt, alle weiblichen unter 18-Jährigen aus Traiskirch­en nach Wien zu übersiedel­n. Am Freitag wurden 22 Mädchen nach Ottakring gebracht. Aktuell leben in Wien 490 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. (bri, cmi, krud, ook)

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Seit Mittwoch werden im Erstaufnah­mezentrum Traiskirch­en neu ankommende Flüchtling­e nicht mehr aufgenomme­n, sondern mit Bussen in andere Unterkünft­e gebracht.

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