„Dilettantisch in der Vorbereitung“
90.000 bosnische Kriegsflüchtlinge kamen 1990 nach Österreich. Der damalige Innenminister Franz Löschnak spricht über deren Unterbringung damals und gravierende Unterschiede zur Situation heute.
STANDARD: In Ihrer Amtszeit als Innenminister kamen in den 1990erJahren, infolge der Jugoslawienkriege, insgesamt 115.000 Menschen nach Österreich. Woran erinnern Sie sich besonders gut? Löschnak: Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem der Umstand, dass diese Kriegsereignisse unmittelbar vor unserer Haustür stattfanden. Ich war einmal zu Besuch in Lavamünd, wo das Bundesheer die Grenze sicherte. Man konnte die Kampfhandlungen in Slowenien sehen. Das war so nah, dass es kurzfristig sogar nicht einmal abwegig war, dass das Kriegsgeschehen auf Österreich übergreifen könnte.
STANDARD: Hatten Sie Angst? Löschnak: Angst hatte ich nicht. Wenn man Innenminister war, hat man keine Angst mehr. Aber es war zu erwarten, dass größere Flüchtlingsbewegungen in Richtung Nachbarland Österreich entstehen werden.
STANDARD: 1992 kamen 90.000 bosnische Kriegsflüchtlinge innerhalb weniger Monate. War die Situation ähnlich dramatisch wie heute? Löschnak: Die dramatischen Umstände, unter denen die Menschen kamen, waren ähnlich. Aber es gab gravierende Unterschiede zu heute. Die meisten Menschen aus Bosnien hatten zum großen Teil hier Verwandte oder zumindest Bekannte unter den Gastarbeiterfamilien. Die Frage der Unterbringung und Versorgung war daher leichter zu lösen als heute mit Kriegsflüchtlingen aus Syrien, Irak, Afghanistan.
STANDARD: Was war damals die Herausforderung? Löschnak: Die hat schon viel früher begonnen – mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989/90. Wir sind genauso unvorbereitet in die Ostöffnung gegangen wie der Rest von Europa. Es gab keine gesetzlichen Bestimmungen, wie man unterscheiden soll zwischen jenen, die um Asyl ansuchen, und jenen, die Aufenthalt wegen Arbeit suchen. Wir haben das mühsam, und, wie Sie wissen, unter großen Anfeindungen versucht, auf die Beine zu stellen. Nicht immer war alles ideal, das weiß ich. Aber wir haben uns bemüht, das zu lösen. Das unterschied uns damals von heute.
STANDARD: Wie meinen Sie das? Löschnak: Das war ja zum Teil dilettantisch in der Vorbereitung.
STANDARD: Inwiefern? Löschnak: Es ist dilettantisch, so lange zuzuwarten. Experten wissen seit vielen Monaten, dass dieser Zustrom an Kriegsflüchtlingen nicht nachlassen wird. Wie kann man dieses Problem so anstehen lassen? Da hätte die Regierung längst einen Plan entwickeln müssen.
STANDARD: Aber die meisten Länder sind immer dagegen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. War das zu Ihrer Zeit auch so? Löschnak: Vielleicht erinnern Sie sich an Kaisersteinbruch. Wir wollten damals in der dortigen Kaserne einige Hundert Kriegs- flüchtlinge unterbringen. Da gab es dann eine Demonstration vor Ort, organisiert von den Kaisersteinbruchern, unterstützt von einigen politischen Kräften im Land. Wir konnten die Menschen dort nicht unterbringen. Wir mussten das abblasen. Heute haben wir dasselbe wieder – nur mit dem Unterschied, dass die Regierung auch noch intern streitet.
STANDARD: Worüber streitet? Löschnak: Ich bitt Sie: Wenn die Innenministerin und der Verteidigungsminister monatelang darüber debattieren und streiten, ob sie Flüchtlinge in Kasernen unterbringen, und dann sagt der Verteidigungsminister: „Ja, aber dann muss das Innenministerium etwas zahlen.“Und dann sagt die Innenministerin, sie zahlt aber bestimmt nichts ... Und das alles vor den Augen und Ohren der Öffentlichkeit. Da hatte der Widerstand aus Ländern und Gemeinden richtig schön Zeit, sich aufzubauen.
STANDARD: Wären Sie heute Innenminister, was würden Sie sofort tun? Löschnak: Ich müsste sofort flüchten – aus meiner Familie. Die würde das mit Sicherheit nicht verstehen, wenn ich das noch einmal täte. Im Übrigen möchte ich der Frau Innenministerin keine Ratschläge erteilen. Sie hat ja selbst gesehen, dass die Dreschflegelmethode zu nichts führt.
STANDARD: Was führt zu etwas? Löschnak: Einvernehmen herstel- len, kleine Unterbringungseinheiten schaffen. Der Republik würde ich empfehlen, den Föderalismus einmal grundsätzlich zu überdenken. Es kann nicht sein, dass jeder Bürgermeister grundsätzlich ablehnt, dass Flüchtlinge in seine Gemeinde kommen – und sei es auch auf Bundesgrund, in einer Kaserne etwa. Für solche Notsituationen musst du Gesetze ändern.
STANDARD: Sie haben damit begonnen, Fremdengesetze einzuführen und Aufenthaltsbestimmungen zu verschärfen. der STANDARD hat Sie dafür oft kritisiert ... Löschnak: Ich hab’s überlebt ...
STANDARD: ... haben Sie das gemacht als Reaktion auf die Stimmenzuwächse der FPÖ? Löschnak: Schauen Sie, ich bin geborener Favoritner, meine Mutter lebte bis zuletzt dort. Ich war oft auf dem Viktor-Adler-Markt und habe mitgekriegt, was die Leute so reden und was ihnen unter den Nägeln brennt – auch von vielen Veranstaltungen. Ich wusste, wir müssen einen Modus finden, um zwischen Flüchtlingen nach Genfer Konvention und jenen zu unterscheiden, die aus anderen Gründen kommen. Ich weiß, das hat nicht allen gefallen.
STANDARD: Jörg Haider schon – er hat Sie als seinen besten Mann in der Regierung bezeichnet. Löschnak: Natürlich hat mich das sehr gestört, und diese Bezeichnung ist bis zuletzt an mir geklebt. Klar, das hat mich nicht gefreut, es wurde ja auch von links, aus der eigenen Partei, auf mich geschossen. Ich bin halt dann in der Mitte gelegen – bei solchen Dingen kannst du weder den linken noch den rechten Rand hundertprozentig zufriedenstellen. Aber ich wusste für mich selbst natürlich, dass ich kein Rechter war und bin. Und meine Freunde wissen das auch.
FRANZ LÖSCHNAK (75) war von 1987 bis 1995 Regierungsmitglied unter Kanzler Franz Vranitzky (SPÖ). Der Sozialdemokrat und Jurist Löschnak war erst Gesundheits- dann Innenminister. p Langfassung:
derStandard.at/Panorama