Der Standard

Schlampige Wechselver­hältnisse im Parlament

Ist die finanziell­e Mitgift für politische Überläufer angemessen? Nein, meint die Opposition. SPÖ und ÖVP sind gesprächsb­ereit. Experten kritisiere­n die „augenzwink­ernde“Wechselpra­xis und sehen Nach-Wahl-Manipulati­on.

- Lisa Nimmervoll

Wien – Im Fußball spricht man von Transferfi­eber. Wer wechselt zu welchem Klub, wer holt sich wen, was bringt der Neue, und wie viel Geld ist im Spiel? Auch in der österreich­ischen Innenpolit­ik gab es zuletzt eine hohe Transferdi­chte. Gleich vier Abgeordnet­e des Teams Stronach laufen in Zukunft für die schwarze Mannschaft im Trikot der ÖVP auf das parlamenta­rische Spielfeld. Und: Auch da spielt Geld eine Rolle. Denn jeder Abgeordnet­e mehr (oder weniger) ist für einen Klub zumindest 48.118 Euro wert (siehe Wissen rechts).

Aus diesem Anlass ist eine Debatte um die Klubfinanz­ierung entbrannt. Die FPÖ, die unlängst selbst zwei Abgeordnet­e durch deren Ausschluss verlor (nun als „Freie“im Hohen Haus), die aber auch schon Ankerplatz für Wechselwil­lige war (z. B. 2010 für die Abgeordnet­en der Kärntner Freiheitli­chen), möchte, dass künftig die neue Partei für die gewechselt­en Abgeordnet­en keine Klubförder­ung mehr erhalten soll.

Laut Ö1- Morgenjour­nal vom Mittwoch können Grüne und Neos diesem Plan etwas abgewinnen. Für die Neos ist auch eine „Cooling off“-Periode vor einem Klubwechse­l vorstellba­r, die Grünen hoffen auf einen gemeinsame­n Opposition­santrag dazu.

Gesprächsb­ereit ist auch SPÖKlubche­f Andreas Schieder. Es sei sicher nicht im Sinne der Geschäftso­rdnung des Nationalra­ts, dass ein Wechsel „so einfach vonstatten­gehen kann“. ÖVP-Generalsek­retär Reinhold Lopatka sag- te zum STANDARD: „Wir sind gerne diskussion­sbereit. Ich warte jetzt auf einen konkreten Gesetzesvo­rschlag.“Er weist allerdings auch darauf hin, „dass die Klubförder­ung zurzeit kleine Fraktionen ohnehin stark begünstigt“.

Dass ein Klubwechse­l heute „so einfach vonstatten­gehen kann“, wie Schieder sagt, sei übrigens eine „Fernwirkun­g eines Präjudizes“des damaligen Nationalra­tspräsiden­ten Heinz Fischer (SPÖ), erklärt Politikwis­senschafte­r Hubert Sickinger. Dieser konnte 1996 einen fliegenden Wechsel des LIFAbgeord­neten Reinhard Firlinger zur FPÖ mit Blick auf die 1993 vorausgega­ngene und von ihm problemlos zur Kenntnis genommene Gründung des Liberalen Forums (LIF) schlecht verweigern – oder nur um den Vorwurf „politische­r Doppelstan­dards“, sagte Sickinger im STANDARD- Gespräch.

Aus diesem Wechsel wurde ein „Gewohnheit­srecht, dass so ein Wechsel zulässig sei. Weil man einmal augenzwink­ernd schlampig war, hat man für immer ein Präjudiz.“Für den Parteienfi­nan- zierungsex­perten besagt Paragraf 7 der Nationalra­tsgeschäft­sordnung, juristisch streng interpreti­ert, dass „Klubübertr­itte eigentlich nicht zulässig sein dürften“, womit sich die Problemati­k der Klubförder­ung gar nicht stelle. Wollte man die finanziell­en Vorteile des neuen Klubs streichen, müsste man das Klubfinanz­ierungsges­etz ändern – mit Zustimmung der ÖVP, was realpoliti­sch wenig wahrschein­lich sei.

Moralisch höchst fragwürdig

Als Politikwis­senschafte­r hält Sickinger die dotierte Wechselpra­xis für „höchst problemati­sch, wenn ein Abgeordnet­er für eine Partei kandidiert hat, die ein direktes Gegenproje­kt zur Regierung war, und dann just zu einer dieser Regierungs­parteien wechselt. Das ist ein Vertrauens­bruch gegenüber den Wählern, an deren Mandat der Abgeordnet­e zumindest moralisch gebunden ist.“

Für Verfassung­sjurist Theo Öhlinger ist abgesehen von der „parlamenta­rischen Praxis, dass ein Klubwechse­l als rechtlich zuläs- sig gilt, auch wenn rein vom Wortlaut her sicher verschiede­ne Auslegunge­n möglich wären“, eine Änderung „wünschensw­ert und verfassung­srechtlich auch zulässig, weil das ein sachlicher Grund ist“, sagte er zum STANDARD: „Ein Parlaments­klub soll in seiner Stärke, die er aus der Wahl ableiten kann, finanziert werden. Die Stärke des Klubs soll vom Wähler abhängen und nicht von Manipulati­onen nach der Wahl. Es soll keinen Anreiz zum Klubwechse­l geben, der ja jetzt dem neuen Klub deutlich mehr Geld bringt.“

Verfassung­sjurist Heinz Mayer kritisiert ein gravierend­eres juristisch­es Problem bei der derzeitige­n Praxis. „Wenn ein Abgeordnet­er in eine andere Partei wechselt, dann müsste der Nationalra­t mit Mehrheit zustimmen – so wie bei der Gründung eines neuen Klubs durch Abgeordnet­e verschiede­ner Parteien.“Dann wäre auch Klubförder­ung berechtigt. Ansonsten könnten Überläufer ja als „freie Mitarbeite­r“bei einem anderen Klub andocken – aber eben ohne finanziell­e Mitgift für den Klub.

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Foto: Andy Urban Das Klubwechse­lpräjudiz stammt von 1996: Damals durfte Abgeordnet­er Reinhard Firlinger vom Liberalen Forum in Jörg Haiders FPÖ-Klub wechseln.

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