Der Standard

Rätselhaft­er Balanceakt kalifornis­cher Steine

Tonnenschw­ere Felsen stehen seit Jahrtausen­den im aktivsten Erdbebenge­biet der USA, ohne zu kippen

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Irvine/Wien – Es scheint fast, als würden sich diese Steine nicht das Geringste um die Gesetze der Schwerkraf­t scheren: In den San Bernardino Mountains im Süden Kalifornie­ns stehen seit Jahrtausen­den einige tonnenschw­ere Granitfels­en in einer Weise aufeinande­r, dass man meinen könnte, ein kleiner Stupser würde sie schon zu Fall bringen. Balanciere­nde Brocken wie diese sind überall auf der Welt zu finden und entstehen meist durch spezielle Erosionspr­ozesse. Was die Felsen in der Gegend um den Silverwood Lake und das Grass Valley aber zu einem rätselhaft­en Phänomen macht, ist die Tatsache, dass nur wenige Kilometer entfernt zwei signifikan­te tektonisch­e Linien verlaufen: die San- Andreas-Verwerfung und der SanJacinto-Bruch.

Wie ist es also möglich, dass die wackelig aufeinande­rgetürmten Steine mitten im aktivsten Erdbebenge­biet der USA immer noch stehen? Die Geologin Lisa Grant Ludwig und ihr Team von der University of California in Irvine haben nun versucht, dem Mysterium auf die Spur zu kommen. Die Wissenscha­fter nahmen dafür 36 der sogenannte­n prekär balanciere­nden Felsen unter die Lupe. Neben einer genauen Vermessung der einzelnen Steine bestimmten die Forscher die Kraft, die notwendig ist, die Felsen kippen zu lassen. Diese Werte setzten Grant Ludwig und ihre Kollegen in Beziehung zur erwartbare­n Beschleuni­gung des Bodens bei mittleren und schweren Erdbeben. Davon müsste es in den vergangene­n 10.000 Jahren geschätzte 50 bis 100 gegeben haben.

Keiner dürfte mehr stehen

Das im Fachjourna­l Seismologi­cal Research Letters veröffentl­ichte Ergebnis: Kein einziger der untersucht­en Felsen dürfte heute noch stehen. „Was da herauskam, war wirklich ein wissenscha­ftliches Rätsel“, meint Grant Ludwig.

Ein genauer Blick auf die seismische­n Gegebenhei­ten der Region lieferte den Forschern schließlic­h eine mögliche Erklärung: Gerade der geringe Abstand zwischen den beiden nahen Verwerfung­en könnte zu einem sogenannte­n Stepover-Effekt führen, bei dem Spannungen von einer Verwerfung auf die benachbart­e überspring­en. Bebenmodel­le ergaben, dass in einem solchen Fall Schattenzo­nen entstehen, in denen Bodenbeweg­ungen abgeschwäc­ht werden. Die Geologen vermuten, dass die Gegend um die kippgefähr­deten Felsen in einem solchen Erdbebensc­hatten liegt.

Die Erklärung hätte allerdings eine bedrohlich­e Konsequenz: Eine enge Verknüpfun­g der seismisch sehr aktiven San-JacintoVer­werfung mit der San-AndreasVer­werfung im Süden könnte womöglich in Zukunft zu verheerend­en Doppelbebe­n führen. (tberg)

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Foto: Nick Hinze / Nev. Bureau of Mines & Geology Unzählige Erdbeben konnten den Felsen offenbar nichts anhaben.

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