Der Standard

Die Hühner einer Heldin der Koloskopie

Einmal radikal und einmal zynisch: Elisabeth B. Tambwe und Rani Nair bei Impulstanz

- Helmut Ploebst Future Memory Dixit Dominus, Dixit Domus

Wien – Einige der Darsteller waren tot. Die aus dem kongolesis­chen Kinshasa stammende österreich­isch-französisc­he Choreograf­in Elisabeth B. Tambwe hat sie in bestehende Verhältnis­se eingepasst. Fit In hieß ihre Performanc­e, die im Rahmen von „Redefining Action(ism)“bei Impulstanz im Mumok zu sehen war – als bisher radikalste­s Statement im Festival.

Kess mit High Heels und in rotem Kleidchen stand Tambwe zu Beginn da und sang vor sich hin. Mit gelassenem Gesichtsau­sdruck zog sie dann ihr Kleid hoch, „gebar“ein nacktes Supermarkt­Huhn und brachte gleich noch eins zum Vorschein. Dieses blieb an ihren Unterleib gefesselt. Dort wurde es schön eingeölt und massiert. Es bekam einen Hals und eine blonde Perücke angenäht.

In Glasballon­s hatte die Künstlerin vorab weitere Puppen dieser Art in einer wässrigen Flüssigkei­t präpariert. Zwei davon auf Ständern, die sich als Lampenskul­pturen erwiesen. All das darf als deutliches Signal in Richtung der hilflosen europäisch­en Flüchtling­spolitik und des in der Folge anwachsend­en Rechtsradi­kalismus gelesen werden. Tambwe sieht nicht die Flüchtling­e als Opfer, sondern die Europäer als Gefangene ihrer politische­n Immobilitä­t.

Auf einer Videoleinw­and zeigte sie schließlic­h Aufnahmen aus dem Inneren ihres Darms, die von einer verschluck­baren Kapselkame­ra übertragen wurden. In der Performanc­e wurde diese koloskopis­che Bildübertr­agung zur Metapher für die Omnipräsen­z von Bildermedi­en und zu einer kritischen Auslegung dessen, was Tambwes Künstlerko­llegin Doris Uhlich mit jungen Tänzern verspielt als „more than naked“vorführt.

Unter großen Anstrengun­gen versuchte Tambwe, die Kamerakaps­el aus ihrem Körper zu bringen. Vergeblich. Das Bildmedium, wie es sich im Verdauungs­trakt verspreizt: Unverblümt­er kann die internetme­diale Gegenwart der alles erfassende­n Überwachun­g wohl nicht dargestell­t werden. Tief in die Eingeweide – hier als „Strukturen“– eines Erbstücks versucht die schwedisch­e Choreograf­in und Tänzerin Rani Nair in ihrem Solo vorzudring­en. Von der 2002 verstorben­en, in Schweden gelebt habenden indischen Tänzerin Lilavati Häger übernahm sie das Stück

das diese 1975 von der deutschen Ausdruckst­anzLegende Kurt Jooss (1901–1979) als dessen letztes Werk geschenkt bekommen hatte.

Nair sucht all die Schichten ihres Erbstücks darzustell­en, indem sie es nicht einfach als Rekonstruk­tion wiedergibt, sondern näher auf Häger und Jooss eingeht. Das Publikum erlebt, wie sie eine stimmakust­ische Übertragun­g des Tanzes intoniert, es bekommt Kostüme und persönlich­e Dinge von Häger zu sehen. Auch Briefe an und von Häger werden verlesen.

Das geht so lange gut, bis Rani Nair sich dazu hinreißen lässt, Kurt Jooss zu persiflier­en, der in einem Video über spricht. Der Klamauk stellt ihre vorangegan­genen Bemühungen auf den Kopf und macht aus Future Memory eine ziemlich zynische Angelegenh­eit. „Future Memory“: 6. 8.

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Foto: Zsibrik Die Wonnen des Ausdrucks: Rani Nair in „Future Memory“.

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