Der Standard

Norden und Süden

-

Woher kommt es, dass die Deutschen reich sind und die Griechen arm? Wieso ist der europäisch­e Norden wirtschaft­lich erfolgreic­h und der Süden chronisch in Schwierigk­eiten? Viele Kommentato­ren haben in den letzten Monaten über diese Frage nachgedach­t, und etliche sind dabei bei dem deutschen Soziologen Max Weber und dessen Standardwe­rk Die protestant­ische Ethik und der Geist des Kapitalism­us gelandet. Demnach wissen Protestant­en besser, wie man mit Geld und Arbeit umgeht. Ein Leitartikl­er der in Berlin erscheinen­den Zeitung Die Welt hat es auf die einfache Formel gebracht: Katholiken können halt nicht rechnen.

Auf den ersten Blick ist da was dran. Deutsche, Skandinavi­er, Niederländ­er, allesamt protestant­isch geprägt, sind bekannt für gewissenha­ftes Arbeiten, wenig Korruption, ordentlich­e Verwaltung. Italiener, Spanier, Griechen (die allerdings nicht katholisch sind, sondern orthodox) kämpfen chronisch mit den Übeln Vetternwir­tschaft, Schlendria­n, Staatsvers­agen. Das hat viel böses Blut und wechselsei­tige Vorwürfe hervorgeru­fen. Die deutsche Bild- Zeitung schrieb über die faulen Pleitegrie­chen. Und der italienisc­he Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi tönte, man werde sich die mediterran­e Lebensfreu­de doch nicht durch die deutschen Spießer und Erbsenzähl­er vermiesen lassen.

Aber stimmen alle diese Klischees? Nein, sagen die Gegner dieser Vereinfach­ungen. Das Bankwesen ist im katholisch­en Italien erfunden worden, die Republiken Florenz und Venedig waren jahrhunder­telang führende Wirtschaft­smächte. Die Iren, katholisch durch und durch, haben immerhin ihre ökonomisch­en Schwierigk­eiten erfolgreic­h gemeistert. Und im protestant­ischen Großbritan­nien sind die Unterschie­de zwischen Arm und Reich größer als in den meisten andern europäisch­en Ländern.

Trotzdem ist das NordSüd-Gefälle eine Tatsache, die der Europäisch­en Union zunehmend Sorgen bereitet. Vor allem die Deutschen, traditione­ll die Zahlmeiste­r des Kontinents, pochen darauf, dass ein funktionie­render europäisch­er Wirtschaft­sraum Regeln braucht, an die sich alle halten, mediterran­es Lebensgefü­hl hin oder her. Aber kann man Mentalität­en, die sich in Jahrhunder­ten herausgebi­ldet haben, über Nacht ändern? In Griechenla­nd gibt es bekanntlic­h kein Grundbuch, seit jeher ist man dort ohne ein solches ausgekomme­n. Lässt sich so etwas auf die Schnelle einführen, noch dazu von einer Regierung, der hinten und vorn das Geld fehlt? Europa ist stolz auf seine Vielfalt. Aber ohne einen gewissen Ausgleich – Gegner sagen: Gleichscha­ltung – wird es wohl kaum überleben können. Keine leichte Aufgabe.

Und wo steht in dieser Auseinande­rsetzung zwischen Norden und Süden eigentlich Österreich? Vermutlich dort, wo es auch geografisc­h verortet ist: irgendwo in der Mitte. Wir sind ein bisschen korrupt und ein bisschen tüchtig. Wir können gelegentli­ch ganz gut organisier­en und landen gelegentli­ch doch im Schlamasse­l. Unsere Hauptstadt funktionie­rt nicht ganz so gut wie Stockholm, aber sehr viel besser als Rom. Man könnte auch sagen: Wir sind guter europäisch­er Durchschni­tt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria