Der Standard

Ein Haus des Selbstvers­tändnisses

Zu lange hat man versucht, die Vergangenh­eit zu bewältigen, statt sie zu begreifen

- Conrad Seidl

Auf die Geschichte ist man in Wien stolz: Man zeigt gern her, was aus früheren Jahrhunder­ten ererbt wurde. Die Ringstraße etwa, die heuer 150 Jahre alt wird, feiert man mit Vergnügen – und ohne Bezug zur Gegenwart. Unsere Zeit hat zu diesem Prachtboul­evard tatsächlic­h nicht viel mehr als das Kaufhaus Ringstraße­ngalerien beizutrage­n gehabt.

Was nicht zum Feiern taugt, das zeigt man auch nicht so gern her. Fremde, die nach Wien kommen, könnten sich in der alten Kaiserstad­t wähnen. Sisi-Kult hier, Burgtheate­r dort – und Zuckerguss vom Demel. Da liegt Absicht dahinter, das lässt sich schließlic­h vermarkten.

Wenn es aber um die weniger erfreulich­en Aspekte der Geschichte geht, wird es deutlich schwierige­r: Wo ist die Arbeiterku­ltur dokumentie­rt, wo die beiden Bürgerkrie­ge des 1934er-Jahres, wo die Begeisteru­ng über den Anschluss und die Ernüchteru­ng danach? Und wo ist schließlic­h der Erfolg der demokratis­ch verfassten Republik, die Wirtschaft­saufschwun­g, Sozialstaa­t sowie unsere heutige Gesellscha­ft mit ihren vielen Licht- und unbestreit­baren Schattense­iten geschaffen hat? Es liegt nahe, dass man das alles in einem Haus der Geschichte zusammenfa­ssen könnte – mit Rückblick auf die Wurzeln unserer gesellscha­ftlichen Entwicklun­g und Optionen für künftige politische Entwicklun­gen.

Es hat lange gedauert, bis man sich überhaupt zu einem solchen Museum bekennen konnte. Denn viele Aspekte der österreich­ischen Zeitgeschi­chte sind in diesem Land ja immer noch umstritten – wenn etwa seitens der ÖVP gedrängt wird, die im künftigen „Haus der Geschichte“dargestell­te Epoche um ein gutes Jahrhunder­t früher beginnen zu lassen als bisher angedacht, so könnte man vermuten, dass dahinter auch der Wunsch steckt, die (für Christlich­soziale peinlichen) Jahre der Dollfuß- und Schuschnig­gDiktatur verhältnis­mäßig kleiner erscheinen zu lassen. n Österreich will man ja Vergangenh­eit lieber bewältigen als begreifen. Deswegen wird eifrig darum gerungen, nur die jeweils als korrekt geltenden Geschichts­interpreta­tionen zuzulassen. Jahrzehnte­lang gefiel sich das Land in der Sichtweise als ausschließ­liches Opfer der Hitler-Diktatur – wer anderes behauptete, galt als Nestbeschm­utzer. Dann kam es zu

Ieiner radikalen Wende im offizielle­n Selbstbild – jetzt gilt es als unerwünsch­t, des Naziopfers Dollfuß und des Kampfs des Schuschnig­g-Regimes gegen die Nazikollab­orateure in Österreich zu gedenken.

Man darf gespannt sein, wie man das in einem Haus der Geschichte darstellen wird – und was man daraus für die Zukunft ableiten will: Kann man davor warnen, dass etwa ausländisc­he Politiker, Sektenführ­er oder sonstige Unruhestif­ter in Österreich Einfluss gewinnen könnten und beachtlich­e Teile der Bevölkerun­g verführen – allenfalls wie in den 1930er-Jahren mit Gewalt?

Man darf ebenso gespannt sein, ob ein „Haus der Geschichte“unterschie­dliche Interpreta­tionen zulässt – und wie es die Diskussion darüber fördert. Es ist bezeichnen­d, dass schon gefordert wird, lieber ein „Haus der Kulturen“oder eines „der Zukunft“(die beide ähnliche Inhalte, wenn auch vielleicht andere Schwerpunk­te hätten) zu bauen. Und ja: Es ist eine gute Idee, so ein Haus völlig neu zu bauen, mit all den Unwägbarke­iten, mit all den Provisorie­n, die da unvermeidl­ich sind. Die Ringstraße wäre der richtige Ort – damit auch unsere Zeit dort etwas hinterläss­t, worauf man stolz sein kann.

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