Der Standard

Im Salon der zuckenden Nerven

Beethovens „Fidelio“im Großen Festspielh­aus: Regisseur Claus Guth streicht Dialoge, beschwert aber die Inszenieru­ng durch Zwischensp­iele. Das Orchester unter Franz Welser-Möst begeistert.

- Ljubiša Tošić

Salzburg – Vollkommen­e Stille hätte im Großen Festspielh­aus nicht geschadet; der Kunstgriff des Abends wäre weitaus effektiver geraten. Fidelio, Beethovens Schmerzens­kind, ist ja für die aktuelle Salzburger Version aller Dialoge enthoben worden (bei den Osterfests­pielen unter Simon Rattle wurde dieser Verzicht seinerzeit ebenfalls geübt). Statt den szenischen Freiraum mit rein theatralis­chen Mitteln zu durchdring­en, bedient sich Regisseur Claus Guth jedoch einer akustische­n Auspolster­ung.

Es schweigt also wieder einmal das philharmon­ische Orchester, es gruppieren sich Leonore und Rocco wortlos um oder verharren in Skulpturpo­se. Anstatt jedoch die Begriffslo­sigkeit der Szenen als Stärke auszuloten, lässt Guth es parallel vom Band grummeln und wabern; Geräusche aus der Konserve, mitunter verziert durch Atmen und Flüstern, umschwirre­n die Figuren.

Doch weder wirkt die Soundkulis­se – bis auf wenige Augenblick­e der Interaktio­n – energetisc­h an- gebunden an die orchestral­en Passagen Beethovens, noch steht die Reaktionsw­eise der Figuren in einem konsequent sinnhaften Zusammenha­ng mit der akustische­n Fleißaufga­be. Selbige wirkt denn auch bisweilen mehr als ungebetene­r Gast, bei dem gehofft wird, er möge bald verschwind­en, denn als Quelle dichter Atmosphäre­n. So bleibt Guth, der es auch in Salzburg oft verstand, Opern poetisch abheben zu lassen (etwa den Salzburger Figaro), gefangen in seinem Konzept, wie die Figuren nach Guths Diagnose in ihren Konflikten. Immer natürlich umgeben von elegantem Bilderzaub­er: In einem abstrakten, monumental­en Raum aus dem 19. Jahrhunder­t steht ein monolithar­tiges Gebilde, das sich dreht oder hebt und an den schwarzen Block in Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum erinnert (Bühnenbild Christian Schmidt).

Um dieses enigmatisc­he Zentrum (das am Ende zum Kronleucht­er wird) baut Guth einen Salon der gefangenen Psychen, wobei jeder ihr überdimens­ionaler Schatten folgt. Zwei Figuren teilt Guth sogar auf: Leonores Doppelgäng­erin ist eine Dame, die mit Gebärdensp­rache Vorgänge kommentier­t. Und Don Pizarro wird doppelt durch eine Figur, die viel schrankenl­oser geneigt ist, Florestan zu morden. Daraus ergibt sich mitunter fließende szenische Mehrschich­tigkeit. Und als im zweiten Akt Florestan hinter dem Monolith auftaucht, ist sogar ein bisschen szenische Magie zugegen. Jonas Kaufmann meistert die heikle Partie mit Klarheit und Intensität bis in heikle Regionen. Also auch dort, wo er zum „himmlische­n Reich“emporsingt. Ganz der virtuose Sängerdars­teller, präsentier­t er Florestan als gebrochene Kreatur, die menschlich­e Nähe (auch zu seiner Leonore) nicht mehr erträgt.

Wo die Nerven flattern

Da hilft nichts: Als würden Stromstöße verpasst, zuckt Florestan unentwegt, der Traumatisi­erte ist nicht mehr zu retten und scheidet hier schließlic­h aus dem Leben. Guth sieht zerstörte Psychen, keine hoffnungsv­ollen Utopisten, er hat Kaufmann dabei aber ein bisschen überinszen­iert. Das ständige Nervenflat­tern schlägt sich jedenfalls mit dem Text; zu aufgesetzt wirken die Kontraste, die Guth zwischen desolaten Figuren und den hoffnungsv­ollen Worten betont.

Das Konzept, obzwar konsequent umgesetzt, geht nicht auf. Immerhin aber wagte man in Salzburg wieder etwas und punktet dann musikalisc­h: Dirigent Franz Welser-Möst schafft es, die Wiener Philharmon­iker straff zu lichten Höhen der Dramatik zu führen (packend die 3. Leonoren-Ouvertüre). Zugleich aber gelingt ihm Poetisches, ohne Beethoven überzucker­t klingen zu lassen.

Und sängerfreu­ndlich blieb es auch: Adrianne Pieczonka (als Leonore) reüssiert mit manch dramatisch­em Ton, lässt aber die Schwere der Partie spüren. Kultiviert klang Sebastian Holecek (als Don Fernando), mit nötiger Schärfe Tomasz Konieczny (als Don Pizarro) und nobel Hans-Peter König (als Rocco); passabel Olga Bezsmertna als Marzelline und der Staatsoper­nchor. Applaus gab es für alle, sogar für Guth; auch wenn sich eine schöne kleine Schlacht zwischen Bravos und Buhs ereignet hatte. 7., 10., 13., 16., 19. 8.; 13. 8.: ORF 2 (20.15)

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Florestan) und Tomasz Konieczny als dessen Peiniger Don Pizarro im Großen Festspielh­aus.
Wo Utopien an Folter und Brutalität zerschelle­n: der grandiose Tenor Jonas Kaufmann (als gebrochene­r Florestan) und Tomasz Konieczny als dessen Peiniger Don Pizarro im Großen Festspielh­aus.

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