Der Standard

ZITAT DES TAGES

Irene Promussas, Mutter einer Tochter mit chronische­r Erkrankung, gründete die Selbsthilf­egruppe Lobby4kids. Seit zehn Jahren kämpft sie gegen Betreuungs­probleme, Vorurteile und für Sichtbarke­it.

- Gudrun Springer Fehlt anderen Eltern in

„Es ist ein Unterschie­d, ob es heißt: behinderte­s Kind oder Kind mit Behinderun­g.

“Irene Promussas, Mutter einer Tochter mit chronische­r Erkrankung und Gründerin der Selbsthilf­egruppe Lobby4kids

STANDARD: Sie sind Mutter einer 15jährigen Tochter mit einer seltenen Erkrankung, mit Ihrem Verein engagieren Sie sich für andere Eltern chronisch kranker Kinder, im September feiert Lobby4kids zehn Jahre Bestehen. Was hat sich in dieser Zeitspanne für Familien mit Kind mit Behinderun­g verändert? Promussas: Als ich anfing, war man nicht gewohnt, dass sich Familien mit Kindern mit chronische­n Erkrankung­en sichtbar machen wollen und können. Dabei kann jeder von uns betroffen sein, zum Beispiel wenn ein Unfall passiert. Im Laufe der zehn Jahre sind mehr Therapiepl­ätze geschaffen worden, es werden hoffentlic­h jetzt auch mehr inklusive Hortund Kindergart­enplätze geschaf- fen – auf die aber bis heute kein Rechtsansp­ruch besteht. Die Kindergart­en- und Hortplatzs­uche ist immer noch unser Hauptbetät­igungsfeld. Ein Problem ist, dass die Ausbildung zum Sonderpäda­gogen abgeschaff­t wurde und entspreche­nde Module in der Lehrerausb­ildung kaum vorhanden sind.

STANDARD: Lehrer oder Betreuer, die um medizinisc­he oder pflegerisc­he Handgriffe gebeten werden, sind oft verunsiche­rt. Promussas: Jeder darf im Prinzip alles machen, aber keiner muss. Selbst wenn man Pädagoginn­en schult, sind sie rechtlich nicht abgesicher­t. Ich als Mutter bin darauf angewiesen, dass ich jemanden finde, der sich für nötige Hand- griffe bereiterkl­ärt. Ich verstehe auch Pädagoginn­en, die sagen, sie trauen sich nicht. Zum Teil bekommen sie Druck von oben, das nicht zu tun. Ich habe wegen der Magensonde meiner Tochter alle Hortpädago­ginnen geschult, und plötzlich hat es geheißen, wir bekommen den Platz doch nicht, da sie das nicht dürfen. Im Endeffekt hat es dann doch geklappt, aber es war ein Kampf. Bei Diabetes gibt es viele ähnliche Fälle.

STANDARD: Daher gibt es für Kinder mit Diabetes eine Bürgerinit­iative? Promussas: Wir haben mitgeholfe­n, 7000 Unterschri­ften zum Thema „Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder“am Beispiel der Diabeteski­nder zu sammeln. Diabetes ist eine Krankheit, die zwar Management erfordert, mit der Kinder aber theoretisc­h alles mitmachen können. Vor allem im Kindergart­en traut sich Personal aber oft nicht, die notwendige­n Handgriffe zu übernehmen.

STANDARD: Heute werden Sie wegen Ihrer Expertise in Arbeitsgru­ppen von Ministerie­n geladen, Behörden fragen Sie um Rat. Haben Sie gedacht, dass es so weit kommt? Promussas: Ich dachte nur, ich mache einfach mal. Ich bin meiner Tochter sehr dankbar, sie hat immer mitgespiel­t und war oft das Pionierkin­d. Unser erstes Problem, die Suche nach einer Hortbetreu­ung, habe ich mit dem Volksanwal­t durchgekäm­pft. Es gab eine Weisung. Wenn es heute Probleme gibt, schicke ich immer noch seinen Brief von 2005. Meine Tochter hat unter anderem das Problem, dass sie nicht normal essen, schlafen oder duschen kann. Unter ihrem T-Shirt befinden sich eine Magensonde und eine Pumpe. Mit 15 Jahren fallen diese Menschen aber schon ins Erwachsene­ngesetz. Sie werden von einem Gutachter angesehen, der eigentlich für alte Menschen zuständig ist. Der fragt dann nicht, wie geht es denn mit Magensonde und Pumpe, sondern: Kannst du die Heizung abdrehen und die Waschmasch­ine anwerfen? Ich dachte, ich höre nicht recht. Dann muss man wieder vor Gericht streiten wegen der Einstufung der Pflegestuf­e.

STANDARD: einer ähnlichen Situation oft die Kraft dafür, sich durchzubox­en? Promussas: Das ist der Grund, warum es Lobby4kids gibt. Wenn ich schon mit diesem Mundwerk gesegnet bin, Nerven aus Stahl und viel Energie habe, muss ich das einsetzen. Wir betreuen viele Familien mit Migrations­hintergrun­d, ich habe Asylwerber­familien, die nicht wissen: Was steht mir zu? Was hat mein Kind überhaupt? Welche Überlebens­chancen? Viele unserer Mitglieder sind Alleinerzi­eherinnen. Wenn man in der Situation nicht die adäquate Betreuung findet, rutschen die Mütter – wir hatten bisher nur ein bis zwei alleinerzi­ehende Väter – ganz schnell in die Armutsfall­e.

STANDARD: Viele sind verunsiche­rt, wenn sie Behinderun­g benennen müssen. Was sagen Sie? Promussas: Mir geht es darum, wo das Wort steht. Zuerst der Mensch, dann sein Handicap. Es ist ein Unterschie­d, ob es heißt: behinderte­s Kind oder Kind mit Behinderun­g.

STANDARD: Ihre gesamte Tätigkeit für Lobby4kids ist ehrenamtli­ch? Promussas: Eine Art Geschäftsf­ührung könnte notwendig werden, denn ich arbeite sieben Tage die Woche für Lobby4kids, weshalb ich die Stunden meines „normalen“Jobs auch nicht aufstocken kann. Ich werde einmal ein RiesenPens­ionsproble­m haben! Derzeit hängt auch noch viel an meiner Person, aber ich will nicht, dass die Organisati­on mit mir stirbt. Außer – Idealfall! – es braucht uns nicht mehr, weil dann eh alles wunderbar klappt.

Es ist ein Unterschie­d, ob es heißt: behinderte­s Kind oder Kind mit Behinderun­g.

IRENE PROMUSSAS (46), Pharmazeut­in, gründete Lobby4kids, um Eltern von Kindern mit chronische­n Erkrankung­en zu helfen und zu vernetzen. Seit dreieinhal­b Jahren besteht dafür eine Onlinedate­nbank. Promussas ist Mutter eines Kindes mit und eines ohne Behinderun­g. p www.lobby4kids.at

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Stahl habe, muss ich das einsetzen“, sagt Irene Promussas.
„Wenn ich schon mit diesem Mundwerk gesegnet bin und Nerven aus Stahl habe, muss ich das einsetzen“, sagt Irene Promussas.

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