Der Standard

Spürbare Kriegsfolg­en

An der Grenze zur abtrünnige­n Provinz Südossetie­n sind die Folgen des Krieges von 2008 bis heute spürbar. An der Trennlinie wächst die Angst vor neuen Konflikten.

- REPORTAGE: Tatjana Montik aus Ergneti

Sieben Jahre nach dem Georgienkr­ieg: eine Reportage aus Ergneti an der Grenze zur abtrünnige­n Provinz Südossetie­n.

Eine Stunde von Tiflis entfernt liegt das georgische Dorf Ergneti verschlafe­n an der administra­tiven Grenze zur abtrünnige­n Provinz Südossetie­n. Entlang der Hauptstraß­e sind kaum Menschen zu sehen. Zur Mittagszei­t spielt die Sonne, die durch die Äste der großen, alten Obstbäume fällt, Schattensp­iele. Ein verrostete­r Wolga-Pkw blockiert den Weg ins Zentrum. Vier Männer mittleren Alters unterhalte­n sich auf einer Bank. Der Georgienkr­ieg von 2008 ist als Thema immer noch allgegenwä­rtig.

Denn der Alltag hat sich seither massiv verändert: 200 Häuser umfasste Ergneti noch zu Beginn des Jahres 2008. Während des Krieges, der im August nur fünf Tage dauerte, wurden 150 davon zerstört. Das Schulhaus sei zum Glück erhalten geblieben, sagen sie – aber Schüler gebe es kaum noch.

Schon vor 2008 war das Leben in Ergneti beschwerli­ch, erzählen die Männer weiter, aber man lebte ganz gut vom Handel mit Agrarprodu­kten – bis Russland 2006 ein Handelsemb­argo verhängte. Bald habe Russland den Strom abgestellt, später auch das Gas. Und dann kam der „richtige“Krieg, als Georgiens Präsident Michail Saakaschwi­li versuchte, das abtrünnige Südossetie­n zurückzuer­obern (siehe unten).

Bis zum Waffenstil­lstand am 12. August wurden etwa 850 Menschen getötet. Südossetie­n – wie auch Abchasien – erklärte sich unabhängig, Moskau erkannte dies an. Seither leben die Bewohner Ergnetis de facto an einer Landesgren­ze. Nika Kasradse erinnert sich an die Zeit, als er in der damals noch autonomen georgische­n Provinz Südossetie­n zur Schule ging. 2008 brachen plötzlich viele Kontakte ab, georgische Familien wurden zu Flüchtling­en. Bis heute hat Nika zu einzelnen Familienmi­tgliedern keinen Kontakt mehr.

Verhaftung­en an der Grenze

Heute gehören Zwischenfä­lle zum Alltag. Nicht selten werden Bauern bei der Apfelernte festgenomm­en, weil sie die Grenzlinie überschrit­ten haben. Immer wieder riskieren Georgier Verhaftung­en, um Familiengr­äber auf der anderen Seite zu besuchen. Vor allem im Mai während der Pimpernuss­ernte – eine georgische Delikatess­e, die auf den Hügeln jenseits der Trennlinie wächst – steigen die Grenzübert­retungen und damit die Festnahmen massiv an.

150 Menschen wurden allein im Jahr 2014 von südossetis­chen Behörden verhaftet. Nach wenigen Tagen werden sie in der Regel entlassen, die Freilassun­g erfolgt meistens unter Vermittlun­g der 2008 entsandten EU-Beobachtun­gsmission EUMM (European Union Monitoring Mission).

Umso besorgter verfolgen die Menschen das, was Tiflis als neue, schleichen­de Grenzversc­hiebungen auf georgische­m Territoriu­m sieht. Die Angst vor einem Wiederauff­lammen der Gewalt ist groß. Am 10. Juli 2015 standen plötzlich die Grenzschil­der in den Siedlungen Ortschossa­ni und Zitelubani um 300 Meter beziehungs­weise 1200 Meter weiter südlich auf georgische­m Gebiet.

Damit sahen sich nicht nur georgische Bauern in den Grenzdörfe­rn um Ackerland beraubt. Die Grenze rückte quasi über Nacht näher an die Ölpipeline heran, die von Aserbaidsc­hans Hauptstadt Baku zum georgische­n Schwarzmee­rhafen Supsa führt.

Auch der EUMM sind die Aktivitäte­n nicht entgangen. Das monatliche Treffen des Komitees für Konfliktvo­rbeugung und die Schaffung von neuen Reaktionsm­echanismen (IPRM), an dem neben der georgische­n und der südossetis­chen auch die russische Seite teilnimmt, befasste sich in einem außerorden­tlichen Termin in Ergneti mit dem Thema. Lösungen gibt es nur auf lokaler Ebene.

Kestutis Jankauskas, Chef der EUMM-Mission, weist im Gespräch mit dem STANDARD darauf hin, dass das grundlegen­de politische Problem auf diplomatis­cher Ebene unter Beteiligun­g der internatio­nalen Gemeinscha­ft gelöst werden müsse. Die Bewohner von Ergneti hoffen, dass sich Georgien und Russland irgendwann einigen, obwohl die aktuellen Ereignisse in der Ukraine ihnen keine großen Hoffnungen machen.

Europa keine Alternativ­e

Vor allem in wirtschaft­licher Hinsicht leidet die Bevölkerun­g unter der Eiszeit mit Russland, bedauert Nika Kasradse. Russlands Handelsemb­argo sei zwar aufgehoben worden, dafür seien neue Steuern und Abgaben eingeführt worden, sodass die einfachen Bauern es nicht leichter hätten. Die Annäherung an die EU sehen die Bewohner von Ergneti skeptisch. Die europäisch­en Werte seien den Georgiern fremd, heißt es.

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Schilder weisen im Ort Khurvaleti auf den Grenzverla­uf zwischen Georgien und Südossetie­n hin. Zwei Kilometer von dort entfernt wurden die Tafeln verrückt.

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