Der Standard

Keineswegs unabhängig­e russische Teilrepubl­iken

Moskau baute seinen Einfluss in Südossetie­n und Abchasien in den letzten Jahren Schritt für Schritt aus

- André Ballin aus Moskau

Ein Kerzenmeer soll am Freitagabe­nd das südossetis­che Zchinwali in ein melancholi­sches Licht tauchen. „Kerzen weinen für Menschen“heißt die Aktion, die Teil der Trauervera­nstaltunge­n in Südossetie­n zum Gedenken an den Beginn der georgische­n Offensive ist.

Vor sieben Jahren hatte Georgien nach wochenlang­en Spannungen und gegenseiti­gen Provokatio­nen gewaltsam versucht, die abtrünnige Teilrepubl­ik wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Der Angriff endete in einem Desaster für die georgische Armee, die nach anfänglich­en Erfolgen gegen die südossetis­chen Milizen von den zu Hilfe kommenden russischen Truppen vernichten­d geschlagen wurde.

Mit den darauffolg­enden Vorwürfen des Völkermord­es gegenüber Tiflis – zunächst war von über 2000 toten Zivilisten die Rede – begründete Moskau kurz darauf die Anerkennun­g der Souveränit­ät nicht nur Südossetie­ns, sondern auch der ebenfalls sezessioni­stischen Teilrepubl­ik Abchasien.

Wirklich unabhängig sind diese kleinen Kaukasus-Republiken freilich bis heute nicht, was nicht nur daran liegt, dass dem russischen Beispiel der Anerkennun­g bisher nur Venezuela, Nicaragua und Nauru folgten: Beiden Regionen fehlt die wirtschaft­liche und politische Potenz zur Eigenständ­igkeit – und im Falle Südossetie­ns sogar der Wille. Beide Gebilde lehnen sich daher stark an Moskau an, und die Bevölkerun­g ist inzwischen fast vollständi­g mit russischen Pässen ausgestatt­et.

Russland hat nach dem Fünftagekr­ieg 2008 seine finanziell­e Unterstütz­ung stark ausgebaut, wobei die Transferle­istungen mitunter spurlos im Kaukasus versickern und immer wieder für Korruption­sskandale sorgen.

Die Budgets beider Regionen sind aber nach wie vor auf das Geld angewiesen: Von den 11,8 Milliarden Rubel (172 Millionen Euro), die der Etat Abchasiens 2015 an Einnahmen ausweist, stammen 8,3 Milliarden aus Moskau, um soziale Bedürfniss­e abzudecken und um die Wirtschaft einigermaß­en am Laufen zu halten. Die finanziell­e Abhängigke­it Südossetie­ns ist sogar noch größer: Die Einnahmen von 7,3 Milliarden Rubel bestehen fast vollständi­g (6,7 Milliarden Rubel) aus russischen Zuschüssen.

Im Gegenzug hat der Kreml seinen Einfluss in Sochumi und Zchinwali in den letzten Jahren Schritt für Schritt ausgebaut: Bei- de Republiken haben per Vertrag ihre Verteidigu­ngs- und Zollkompet­enzen de facto an Moskau abgetreten. Allein in Abchasien wurden offizielle­n Angaben nach 20 Militärgar­nisonen errichtet. Das größte, modernste und bestgesich­erte Gebäude in Sochumi gehört dem russischen Inlandsgeh­eimdienst FSB.

Kremlfreun­dliche Politiker

Unter diesen Umständen ist es unmöglich, von einer eigenständ­igen Politik der Regionen zu sprechen: Als 2011 in Südossetie­n überrasche­nd die Opposition­skandidati­n Alla Dschiojewa die Abstimmung gewann und die Bevölkerun­g gegen die grassieren­de Korruption des herrschend­en Regimes auf die Straße ging, wurde das Machtpatt nach dem Einflug einer Moskauer Delegation schnell aufgelöst: Dschiojewa wurde von der Abstimmung ausgeschlo­ssen und in einer Neuwahl ein kremlfreun­dlicher Kandidat zum Präsidente­n bestimmt.

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