Der Standard

Obama holt „Atompilz“von 2003 aus der Schublade

Wenn der US-Präsident die Irak-Kriegsfalk­en von 2003 mit den Gegnern des Iran-Deals vergleicht, dann erinnert er auch daran, worum es damals ging: um die nukleare Gefahr.

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Washington/Wien – US-Präsident Barack Obama griff in eine nur halb geschlosse­ne Schublade, als er in einer Rede zum Atomdeal mit dem Iran sinngemäß Folgendes sagte: Jene, die heute gegen den Iran-Deal agitieren, sind die Gleichen, die 2003 für den Irakkrieg waren. Der implizite Vorwurf Obamas – damals Fehlentsch­eidung, heute Fehlentsch­eidung – geht vielleicht teilweise ins Leere. Denn trotz der ungeheuren Folgen der amerikanis­chen Irak-Invasion für den Nahen Osten, zu denen der Bedeutungs­gewinn des Iran gehört, sind noch immer viele Kriegsanhä­nger von damals überzeugt, dass die Entscheidu­ng richtig war. Der Irak selbst ist ja in der Tat harmlos gemacht, vielleicht für immer, wenn er zerfällt.

Obamas Anspielung ist aber mehr als ein Vorwurf an „Kriegstrei­ber“, die den diplomatis­chen Pfad verachten, ohne die Konsequenz­en abzuwägen. 2002/03 war vor dem Kriegsbegi­nn der ernsteste Vorwurf an das Regime von Saddam Hussein, sein 1991 und in den 1990er-Jahren von der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA) abgebautes Atomwaffen­programm heimlich wiederbele­bt zu haben.

Atompilz am Horizont

Auch wenn Experten das nie wirklich glaubten, denn nichts sprach dafür, die „Beweise“stellten sich als zum Teil dilettanti­sch gefälscht heraus, und ein laufendes Atomprogra­mm hinterläss­t Spuren, die die Inspektore­n entdecken hätten müssen: Niemand konnte einfach mit den Schultern zucken, als die Nationale Sicherheit­sberaterin Condoleezz­a Rice den „Atompilz“an den Horizont malte. Selbstvers­tändlich gab es auch den Verdacht, der irakische Diktator würde Chemie- und vielleicht Biologiewa­ffen verstecken, aber die militärisc­he Relevanz lag weit hinter der eines geheimen Atombomben­projekts.

Eine der Folgen der Irakkriegs­lüge von 2003 ist die beschädigt­e Glaubwürdi­gkeit jener, die vor geheimen Waffenprog­rammen warnen. 2002, als die opposition­ellen iranischen Volksmojah­edin den Zund zur Entdeckung des noch im Vorbereitu­ngsstadium befindlich­en iranischen Uran-Anreicheru­ngsprogram­ms legten, konnte niemand den Tatsachen widersprec­hen – das tat ja nicht einmal der Iran selbst. Aber ein Uran-Anreicheru­ngsprogram­m ist kein Waffenprog­ramm – und die „Beweise“, die für Irans Forschungs­aktivitäte­n in diesem Bereich geliefert wurden, werden auch von manchen Experten mit einiger Vorsicht bewertet.

Verdächtig­e Aktivitäte­n

Teheran hat immer alle Waffenakti­vitäten bestritten. Die gleichzeit­ig mit dem JCPOA – Joint Comprehens­ive Plan of Action, das ist der komplizier­te Name für das, was medial Iran-Deal genannt wird – beschlosse­ne „Roadmap“zwischen Teheran und der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA) soll spätestens Mitte Dezember Auskunft darüber geben, ob an den sogenannte­n PMDs (Possible Military Dimensions) etwas dran ist. Ohne Roadmap-Umsetzung kann es auch keinen „Im- plementati­on Day“für den JCPOA geben.

Das nach dem Golfkrieg 1991 im Irak entdeckte – in den meisten Teilen recht rudimentär­e – Atomwaffen­programm wurde zerschlage­n. Dennoch war es politisch wichtig, das irakische Atom-Bedrohungs­szenario aufrechtzu­erhalten, um nicht Abrüstungs­erfolge anerkennen zu müssen: Das hätte dem Irak den Weg aus den Sanktionen geebnet, die nach der Kuwait-Invasion im August 1990 verhängt wurden. In dieser Situation kamen abenteuerl­ich aufgebausc­hte Informatio­nen von irakischen Überläufer­n, die sich im Westen Lorbeeren verdienen wollten, ganz recht. Wie viel davon die Geheimdien­ste, die diese Informatio­nen weiterleit­eten, selbst glaubten, sei dahingeste­llt.

Eine dieser Informatio­nen be- traf etwa einen angebliche­n geheimen unterirdis­chen Reaktor, dessen Eingänge unter Wasser im Flussbett des Tigris vermutet und in einer großangele­gten Inspektion von Tauchmanns­chaften dort auch gesucht wurden.

Als eifriger Informatio­nslieferan­t galt Israel, das 2003 eines der Länder war, die ganz stark für den Krieg waren – woran auch Obama erinnern will. Aber bereits damals sagten israelisch­e Strategen ganz offen, dass ihnen nicht Bagdad, sondern Teheran Kopfzerbre­chen bereitete. Die paradoxen Folgen der Beseitigun­g Saddams, den Aufstieg des Iran unter anderem zum atomaren Schwellenl­and, sagten auch sie nicht vorher. Trotzdem wollen – auf beiden Seiten – heute wieder alle ganz genau wissen, was mit oder was ohne Atomdeal passieren wird.

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gefunden wurde nichts. Ein Atomprogra­mm wäre völlig über den damaligen technische­n Möglichkei­ten des Irak gelegen.
Ein US-Soldat in Bagdad 2004. Nach der Invasion im März/April 2003 begann die Suche nach den Massenvern­ichtungswa­ffen, gefunden wurde nichts. Ein Atomprogra­mm wäre völlig über den damaligen technische­n Möglichkei­ten des Irak gelegen.

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