Bosnien: Gegenmittel zu IS-Rekrutierungen gefordert
Laut einer Studie wurden 156 Bosnier ausländische Kämpfer – Sorge wegen Sensationsberichterstattung
Ein Kroate soll getötet werden, damit inhaftierte Musliminnen in Ägypten freikommen. Das ist die jüngste Video-Drohbotschaft der Terrororganisation „Islamischer Staat“(IS). Der 30-jährige Tomislav S. ist in ihrer Geiselhaft. Der IS kann in Südosteuropa ganz besonders aufgrund der ethnisch-reli- giösen Identitäten, der schwachen Volkswirtschaften und der irritierbaren Politik wirkungsvoll für Angst und Schrecken sorgen.
Der IS versucht auch, die Geschichte zu instrumentalisieren und spricht von einer „christlichen Unterwerfung“des Balkans. Laut der IS-Propaganda ist der Islam in Südosteuropa auch gar kein „richtiger Islam“. Die Rekrutierer wenden sich teils an die ehemalige El-Mujahid-Einheit aus dem Bosnienkrieg. Laut der Studie Die Verlockung des Syrien-Krieges – Das bosnische Kontingent der ausländischen Kämpfer des Politikwissenschafters Vlado Azinović von der Uni Sarajevo und des islamischen Theologen Muhamed Jusić sind ein Teil der bosnischen IS-Kämpfer solche Ex-Soldaten. Sie sind heute in ihren Vierzigern – und damit älter als viele andere.
Laut der Studie reisten 156 Männer, 36 Frauen und 25 Kinder von Ende 2012 bis Ende 2014 von Bosnien-Herzegowina nach Syrien. Bis Jänner 2015 kehrten 48 Männer und drei Frauen zurück. 25 Männer und eine Frau wurden getötet. Angesichts von 3,8 Millionen bosnischen Staatsbürgern liegt der Anteil an IS-Kämpfern bei 41 von einer Million. 60 Prozent dieser IS-Kämpfer haben zuvor in amtsbekannten salafistischen Gemeinschaften gelebt, etwa in Gornja Maoča, Ošve und Dubnica. 20 Prozent lebten vorher in Westeuropa oder den USA.
Kriminelle Vorgeschichte
Mindestens 44 der 156 Männer haben eine kriminelle Vorgeschichte. Manche wurden wegen Raubes, illegalen Waffenbesitzes oder Vergewaltigung verurteilt. Die meisten reisten über Sarajevo mit dem Flugzeug in die Türkei und dann nach Syrien. So eine Reise kostet etwa 100 Euro. Seit die bosnischen Gesetze 2014 verschärft wurden und die „Abreise zum Kampf im Ausland“unter Strafe gestellt wurde, hat dies aber als Abschreckung gewirkt.
Die Autoren der Studie betonen, dass es schwierig sei, festzustellen, ob die Kämpfer wirklich nach Syrien ausgereist seien, ob sie sich noch dort befänden oder ob sie zurückgekehrt seien. Zudem machten es die dezentralisierten Polizeistrukturen in Bosnien schwer, Daten aktuell zu halten.
Genutzt für Islamophobie
Azinović und Jusić betonen auch, wie wichtig es sei, dass die bosnische Gesellschaft ihre „voyeuristische Haltung“gegenüber dem Phänomen aufgibt und soziale Korrektive in Schulen und der Zivilgesellschaft entwickelt werden. Gerade weil etwa 40 Prozent der Bosnier Muslime sind, ist Achtsamkeit in der medialen Berichterstattung zentral. Propaganda gegen „muslimische Terroristen“auf dem Balkan, die es besonders im Krieg (1992–1995) gab, wird schließlich noch immer von islamophoben Kräften genutzt.
Ein Bericht der britischen Zeitung sorgte unter Bosnien-Kennern auch deshalb für Kopfschütteln und Sorge. So behauptete die Zeitung, dass der IS in dem Dorf Ošve Kämpfer trainiert habe und dass Ošve eine „Hochburg“des IS auf dem Balkan sei. In Ošve gibt es zwar eine salafistische Gemeinschaft, die von der Polizei überwacht wird, aber sicher kein IS-Trainingslager. Die Salafisten unterstützen dort zudem die Nusra-Front.
Nichtsdestotrotz schrieben andere Medien – darunter News – ähnliche Artikel. Besonders auffällig war ein Text im Kurier, in dem der Satz zu lesen war: „In Bosnien kontrolliert die Terrormiliz IS bereits Territorien.“Das ist etwa so, als würde man behaupten, der 2. Wiener Gemeindebezirk sei vom IS kontrolliert, bloß weil es dort auch Salafisten gibt.