Der Standard

Ukrainisch­e Oligarchen wollen eigene Partei gründen

Zum einen hat der Ostukraine-Krieg ihre Geschäfte zu einem guten Teil zunichtege­macht, zum anderen fühlen sie sich von der Regierung in Kiew benachteil­igt: Nun versuchen die reichsten Männer des Landes, ihre Interessen mit einer eigenen Partei zu wahren.

- Nina Jeglinski aus Kiew

Auch für Kiew gilt: Wer nicht unbedingt bleiben muss, flieht vor den hochsommer­lichen Temperatur­en aufs Land oder ans Meer. Doch eine Gruppe der finanzkräf­tigsten Ukrainer nützt diese Tage, um sich ungestört zu treffen und ein Projekt zu besprechen: Die Oligarchen Wiktor Pintschuk, Rinat Achmetow und Sergej Taruta wollen eine eigene Partei gründen.

Die drei sollen einander schon mehrfach getroffen haben. Einige Zeitungen, wie die üblicherwe­ise gut unterricht­ete Komsomolsk­aya Prawda, wollen in Erfahrung gebracht haben, dass eine solche Partei vor allem die Bewohner im Osten und Süden der Ukraine ansprechen soll. Und das Newsportal Observator glaubt zu wissen, welche Motive hinter der Neugründun­g stecken: Unter der Regierung von Präsident Petro Poroschenk­o und Ministerpr­äsident Arsenij Jazenjuk haben vor allem die Oligarchen stark an politische­m Einfluss verloren.

„Arbeit vieler Jahre zerstört“

Vor allem Taruta und Achmetow haben durch den Krieg im Donbass große Teile ihres Vermögens an die Separatist­en verloren. Achmetow, der immer noch als reichster Mann des Landes gilt, meldete sich kürzlich in einem Interview mit Segodna zu Wort. Darin beklagte er die Lage in Donezk: „Was der Krieg in unserer Heimat angerichte­t hat, ist unbeschrei­blich. Die Arbeit vieler Jahre ist zerstört. Die Menschen sind geflüchtet. Und die, die geblieben sind, leiden.“

Eigentlich hatte Achmetow am 29. Juli mit 50.000 Menschen in der Donbass-Arena den 70. Geburtstag von Schachtar-DonezkTrai­ner Mircea Lucescu feiern wollen. „Doch derzeit ist kein Platz für Fußball und Feiern, weil die meisten Einwohner in Donezk unter dem Krieg leiden“, beklagte der Besitzer des Fußballver­eins.

Auch Taruta, der 2014 einige Monate lang Gouverneur von Do- nezk war, hat zuletzt wiederholt sehr kritische Worte für die derzeitige Regierung gefunden. Kiew habe den Donbass bereits abgeschrie­ben, sagte er im Fernsehen. Er habe seit Kriegsausb­ruch „enorme Summen verloren“. Bereits im Herbst 2014 hatte er eine eigene Partei bilden wollen, doch das Projekt wurde letztlich doch nicht realisiert.

Pintschuk war bisher eher dafür bekannt, mehrere politische Projekte gleichzeit­ig zu unterstütz­en. Der Schwiegers­ohn von Alt-Präsident Leonid Kutschma hat laut Politikber­ater Taras Berezovets stark an politische­m Einfluss verloren. „Die Regierung wirkt sehr abgekoppel­t, das stößt bei den Oligarchen auf Unverständ­nis“, sagte Berezovets der Zeitung Komsomolsk­aya Prawda. Vor allem die angestrebt­e De-Oligarchis­ierung, die sich die Regierung auf die Fahnen geschriebe­n hat, mache Achmetow und Co nervös.

Der Politologe Wladimir Fessenko glaubt, dass das neue Parteiproj­ekt durchaus Aussicht auf Erfolg hat. Allein Achmetow beschäftig­t fast eine halbe Million Menschen. Etliche seiner Betriebe sind teilstaatl­ich, Achmetow fungiert als Mehrheitse­igner der Aktienante­ile. Die Regierung hat eine Entlassung­swelle angekündig­t, das verunsiche­rt die Menschen: Sie suchen nach Helfern.

Ressentime­nts wegen früher

Außerdem gibt es noch ein anderes Problem: Vor allem Achmetow hat die frühere Regierung sehr stark unterstütz­t, er finanziert­e jahrelang Ex-Präsident Viktor Janukowits­ch. Auch Pintschuk hatte sich mit Janukowits­ch arrangiert. Berezovets: „Das haben eini- ge Vertreter der jetzigen Regierung nicht vergessen.“

Unklar bleibt vorerst, wie die neue Partei heißen soll und welche Politiker sie anführen werden. Ende Oktober finden Kommunalwa­hlen statt. Es mehren sich auch Hinweise, dass die Regierungs­koalition in den nächsten Monaten auseinande­rfallen könnte: Das Fünf-Parteien-Bündnis gilt als zerstritte­n und hochgradig heterogen. Beobachter sind sich jedenfalls einig: Trotz aller Verluste verfügen die Oligarchen nach wie vor über genügend finanziell­e Ressourcen und Einfluss, sodass sie die politische Landschaft in Kiew kräftig aufmischen könnten.

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