Der Standard

Ex-Premier unter Missbrauch­sverdacht

Der frühere britische Regierungs­chef Edward Heath soll 1961 einen Zwölfjähri­gen vergewalti­gt haben. Weggefährt­en des mittlerwei­le Verstorben­en bestreiten dies. Die Polizei ruft weitere mögliche Opfer auf, sich zu melden.

- Jochen Wittmann aus London Daily Mirror

Die Pädophilie­skandale in Großbritan­nien ziehen weitere Kreise. Jetzt gerät selbst ein früherer Premiermin­ister ins Zwielicht: Edward Heath, der von 1970 bis 1974 amtierte und 2005 starb. Anfang der Woche wurde Heath in der Zeitung von einem Mann der Vergewalti­gung beschuldig­t, die 1961 stattgefun­den haben soll, als das angebliche Opfer zwölf Jahre alt war.

Dann rief die Polizei der Grafschaft Wiltshire weitere mögliche Opfer auf, sich zu melden. Mittlerwei­le prüfen Exekutivkr­äfte in vier Grafschaft­en die Vorwürfe. Auch die IPPC, eine unabhängig­e Kommission zur Kontrolle der Polizeiarb­eit, ermittelt, warum ersten Vorwürfen gegen Heath, die 1993 bekannt wurden, nicht nachgegang­en worden ist.

„Ich glaube es einfach nicht“

Weggefährt­en von Heath bestreiten, dass an den Anschuldig­ungen etwas dran sein könnte. „Ich glaube es einfach nicht“, sagte Lord Armstrong of Ilminster, sein ehemaliger Privatsekr­etär, und bezeichnet­e die Vorstellun­g, dass Heath in einen Pädophilie- skandal verwickelt sein soll, als „völlig uncharakte­ristisch“. Auch der frühere Außenminis­ter Lord Hurd verteidigt­e Heath: „Ich weiß von nichts, was diesen Gerüchten Glaubwürdi­gkeit geben würde.“Die zurzeit weitverbre­iteten Vorwürfe von Kindesmiss­brauch würden „viele Leute erfassen, ohne Rücksicht auf die Wahrheit“.

Tatsächlic­h ist zurzeit eine ganze Reihe von Westminste­r-Politikern Gegenstand von polizeilic­hen Untersuchu­ngen im Zusam- menhang mit Kindesmiss­brauch. Meistens handelt es sich um historisch­e Fälle, die bis zu 50 Jahre zurücklieg­en. Der im Jänner verstorben­e ehemalige Kabinettsm­inister und EU-Kommissar Lord Leon Brittan wird ebenso genannt wie Margaret Thatchers Privatsekr­etär Peter Morrison oder der Labour-Minister Lord Janner. Mehrere Sonderkomm­issionen der Polizei sowie eine unabhängig­e richterlic­he Untersuchu­ng gehen derzeit Vorwürfen gegen Perso- nen in den höchsten Rängen von Gesellscha­ft und Politik nach.

Seit Herbst 2012, als herauskam, dass Jimmy Savile, früherer Fernsehsta­r der BBC, tatsächlic­h ein Kinderschä­nder war, wurde Großbritan­nien von einer Serie von Missbrauch­sskandalen erfasst, die nicht abreißen will. Vergewalti­gungen in Kinderheim­en, Leichensch­ändung im Krankenhau­s, ein angebliche­r Pädophilen­ring im Parlament, reihenweis­e Popstars unter Verdacht des Kindesmiss­brauchs. Und zuletzt der Skandal von Rotherham, wo mehr als 1400 Kinder sexuell missbrauch­t wurden, ohne dass Behörden eingeschri­tten wären.

Falsche Anschuldig­ungen

Ob auch der konservati­ve Edward Heath zur Liste der Kinderschä­nder gehört, ist offen. Die Polizei versucht jetzt, durch die Publizieru­ng der Vorwürfe weitere Opfer zu finden und zu Aussagen zu ermutigen. Mitunter hat dieser Aktionismu­s zu Falschansc­huldigunge­n geführt. Eine Reihe von Prominente­n, bis hin zum Vizesprech­er des Unterhause­s, sind angeklagt und dann freigespro­chen worden. Zwei Biografen von Edward Heath halten die Vorwürfe für haltlos. Philip Ziegler kommt in seiner autorisier­ten Biografie zu der Schlussfol­gerung, dass Heath asexuell gewesen ist. Und auch Michael Bloch unterstric­h: „Er war die seltene Person eines schwulen Mannes, der sich entschloss, an die Spitze zu gelangen, und deswegen seine Sexualität unterdrück­te.“

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Edward Heath im Februar 1971 bei einer Pressekonf­erenz mit dem damaligen US-Präsidente­n Richard Nixon vor dem Weißen Haus. Zehn Jahre zuvor soll er einen Zwölfjähri­gen vergewalti­gt haben.

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