Lebenskluge Spiegelbilder
Wort- und bildwitzig: Christoph Niemann verzeichnet in einem neuen Band Epigramme von Erich Kästner
Wien – Das Allgemeingültige im Alltäglichen erkennen und mit dessen Mitteilung eine Erkenntnis und ein Schmunzeln hervorrufen, das können die Texte Erich Kästners. Zum Beispiel, wenn er in Die
die aussichtslosen Zustände in so manchem Menschenkopf beschreibt: „Ob Sonnenschein, ob Sterngefunkel: / Im Tunnel bleibt es immer dunkel.“Die Erleuchtung erreicht eben noch jeden.
Ein weiteres erhellendes Epigramm Kästners ist dafür das mittlerweile ins allgemeine Sprachgut eingegangene „Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es“. Das hat sich Christoph Niemann zu Herzen genommen und seinen Bleistift gespitzt, um unter gleichlautendem Titel Kästners 1950 erschienenes zu verzeichnen, eine Sammlung von 100 Epigrammen aus zwei Jahrzehnten. „An eine „Kunstform erinnern, die verschollen ist“, wollte Kästner damit eingedenk der langen Tradition dieser kürzesten Gedichtgattung seit der Antike.
Rückgriffe macht auch Niemann. Mit der Bildübersetzung des titelgebenden Zweizeilers etwa zitiert er Auguste Rodins Denker, zur Steigerung seiner Weltabgewandtheit dreht er ihn uns gar noch mit dem Rücken zu. Auslaufen tut jener allerdings in einen Lichtschalter: Inaktivität als Kehrseite des Denkens. Und: Nicht selten ist es eine Handlung, durch die einem das sprichwörtliche Licht aufgeht.
Reduziert und raffiniert
Manchmal auf den ersten Blick auch banal, ist das der subtile Witz, der den Deutschen zum international höchst erfolgreichen Zeichner gemacht hat. Nach elf Jahren New York lebt er mittlerweile wieder in Berlin, von wo aus er auch weiterhin auf (Titel-) Blättern für die ganz Großen der Zeitungsbranche wie den die die etc. das Geschehen der großen und weiten sowie kleinen und privaten Welt kommentiert.
Assoziationsreich kombiniert er dazu nicht selten das Bekannte mit dem Unerwarteten zu poetischen und überraschenden Bildmetaphern. Ein Kreissägenblatt als bedrohlicher Sonnenaufgang, eine nasebohrende Zeittotschlägerin, der Mensch, dem die Krone (der Schöpfung) vom Kopf gefallen ist – fast beiläufig und oft flapsig, aber hintergründig. Genau wie die Texte des 1974 verstorbenen Dichters.
Thematisch reichen sie von Liebesschalk über Lebens- und Todesschwermut bis hin zu Machtmahnung – das Dritte Reich steckte dem intellektuellen Regimekritiker bis zum Ende noch in Knochen und Werk: „Das ist das Verhängnis: / Zwischen Empfängnis / und Leichenbegängnis / nichts als Bedrängnis.“Dieser Druck hat den Staub und Dreck des Kästner’schen Lebenswegs gleich Diamanten (er selbst vergleicht die Gattung mit Juwelen) zu schimmernden Bonmots verdichtet.
„Man altert. Doch sonst ändert sich nicht viel“, endet wohnt, alt getan. Das trifft auf diese Epigramme zu: Mehr als ein halbes Jahrhundert alt, sind diese offenbarenden Spiegelbilder der Welt über die Jahre weder falsch noch weniger wahr geworden. Erich Kästner, „Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es“. Mit Zeichnungen von Christoph Niemann. € 15,50 / 128 Seiten. Atrium, Zürich 2015