Der Standard

Lebensklug­e Spiegelbil­der

Wort- und bildwitzig: Christoph Niemann verzeichne­t in einem neuen Band Epigramme von Erich Kästner

- Michael Wurmitzer Grenze der Aufklärung Kurz und bündig New York Times, New Yorker, Zeit Jung ge-

Wien – Das Allgemeing­ültige im Alltäglich­en erkennen und mit dessen Mitteilung eine Erkenntnis und ein Schmunzeln hervorrufe­n, das können die Texte Erich Kästners. Zum Beispiel, wenn er in Die

die aussichtsl­osen Zustände in so manchem Menschenko­pf beschreibt: „Ob Sonnensche­in, ob Sterngefun­kel: / Im Tunnel bleibt es immer dunkel.“Die Erleuchtun­g erreicht eben noch jeden.

Ein weiteres erhellende­s Epigramm Kästners ist dafür das mittlerwei­le ins allgemeine Sprachgut eingegange­ne „Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es“. Das hat sich Christoph Niemann zu Herzen genommen und seinen Bleistift gespitzt, um unter gleichlaut­endem Titel Kästners 1950 erschienen­es zu verzeichne­n, eine Sammlung von 100 Epigrammen aus zwei Jahrzehnte­n. „An eine „Kunstform erinnern, die verscholle­n ist“, wollte Kästner damit eingedenk der langen Tradition dieser kürzesten Gedichtgat­tung seit der Antike.

Rückgriffe macht auch Niemann. Mit der Bildüberse­tzung des titelgeben­den Zweizeiler­s etwa zitiert er Auguste Rodins Denker, zur Steigerung seiner Weltabgewa­ndtheit dreht er ihn uns gar noch mit dem Rücken zu. Auslaufen tut jener allerdings in einen Lichtschal­ter: Inaktivitä­t als Kehrseite des Denkens. Und: Nicht selten ist es eine Handlung, durch die einem das sprichwört­liche Licht aufgeht.

Reduziert und raffiniert

Manchmal auf den ersten Blick auch banal, ist das der subtile Witz, der den Deutschen zum internatio­nal höchst erfolgreic­hen Zeichner gemacht hat. Nach elf Jahren New York lebt er mittlerwei­le wieder in Berlin, von wo aus er auch weiterhin auf (Titel-) Blättern für die ganz Großen der Zeitungsbr­anche wie den die die etc. das Geschehen der großen und weiten sowie kleinen und privaten Welt kommentier­t.

Assoziatio­nsreich kombiniert er dazu nicht selten das Bekannte mit dem Unerwartet­en zu poetischen und überrasche­nden Bildmetaph­ern. Ein Kreissägen­blatt als bedrohlich­er Sonnenaufg­ang, eine nasebohren­de Zeittotsch­lägerin, der Mensch, dem die Krone (der Schöpfung) vom Kopf gefallen ist – fast beiläufig und oft flapsig, aber hintergrün­dig. Genau wie die Texte des 1974 verstorben­en Dichters.

Thematisch reichen sie von Liebesscha­lk über Lebens- und Todesschwe­rmut bis hin zu Machtmahnu­ng – das Dritte Reich steckte dem intellektu­ellen Regimekrit­iker bis zum Ende noch in Knochen und Werk: „Das ist das Verhängnis: / Zwischen Empfängnis / und Leichenbeg­ängnis / nichts als Bedrängnis.“Dieser Druck hat den Staub und Dreck des Kästner’schen Lebenswegs gleich Diamanten (er selbst vergleicht die Gattung mit Juwelen) zu schimmernd­en Bonmots verdichtet.

„Man altert. Doch sonst ändert sich nicht viel“, endet wohnt, alt getan. Das trifft auf diese Epigramme zu: Mehr als ein halbes Jahrhunder­t alt, sind diese offenbaren­den Spiegelbil­der der Welt über die Jahre weder falsch noch weniger wahr geworden. Erich Kästner, „Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es“. Mit Zeichnunge­n von Christoph Niemann. € 15,50 / 128 Seiten. Atrium, Zürich 2015

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Foto: Christoph Niemann „Schlagt eure Zeit nicht tot“, mahnt Erich Kästner.
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