Der Standard

Anonymer Hüttenzaub­er in der Alpen-Peepshow

Es sind surreal anmutende Gleichniss­e, in die die deutsche Bildhauere­in Paloma Varga Weisz ihre geschnitzt­en Lindenholz­skulpturen bettet. „Glory Hole“ heißt ihre Ausstellun­g im Salzburger Kunstverei­n: ein melancholi­scher Ausflug in die Welt des anonymen

- Anne Katrin Feßler Glory Hole

Salzburg – Das natürliche Zuhause für die Skulpturen von Paloma Varga Weisz sei nicht die Galerie, sondern ein Geisterhau­s, schrieb eine Kritikerin einmal über die Lindenholz­figuren und -kreaturen der 1966 geborenen deutschen Bildhaueri­n. Häuser mit Schlupfwin­keln und Verstecken, mit staubigen Korridoren schwebten ihr vor. Und dennoch hat Varga Weisz ihre Szenen doch eigentlich immer – mehr oder weniger ungeschütz­t – in die oft kargen, klinisch weißen Räume platziert. Behausunge­n gab es nicht. Bis jetzt.

Denn im Salzburger Kunstverei­n steht nun ein Häuschen, genauer gesagt ein Heuschober, in Niederöste­rreich abgebaut und nun Balken für Balken, Brett für Brett wieder aufgebaut. Richtig spukig ist die Scheune zwar nicht, sie hat eher etwas heimelig Vertrautes, aber das ist mit dem Un- heimlichen – wie Onkel Sigmund erklärte – ja sehr, sehr verbandelt. Auch mit dem Heimlichen. Denn das, was sich in der hell erleuchtet­en Holzhütte abspielt, bleibt dem in verdunkelt­er Düsternis stehenden – und sich nun womöglich doch ein wenig gruselnden – Betrachter verborgen. Zunächst.

Dann siegt die Neugier, und er späht hinein, zunächst nur durch die Astlöcher, dann findet er vielleicht das lose Brett, das man zur Seite schieben kann, wird zum Voyeur, zum Peeping Tom, wie es im Englischen heißt. Im Inneren dieser Alpen-Peepshow erwartet ihn allerdings kein unsündiger Almrausch, sondern ein pervertier­tes Puppenspie­l:

Der dort Hockende trägt seinen Johannes wie ein verunstalt­endes Mal im geschnitzt­en, eher trübsinnig­en Gesicht. Den Nasenphall­us treibt obendrein eine seltsame Mechanik an, macht den Typ zur depressive­n Sexmarione­tte, die beim Trübsalbla­sen auch noch von Mops und Steinbock, Reh und Schneehase, Bär und Wildschwei­n beobachtet wird.

Denn die taxidermis­chen Tierpräpar­ate, Trophäen des in Loden gekleidete­n Jägers, hängen so an der Bretterwan­d, als würden sie so wie wir Voyeure ihren Kopf durch ein Loch in der Wand recken. Ähnlich rätselhaft das Szenario jenseits der Wand: Denn die nackte Frau mit zwei Affen als Beisitzern und dem anmutigen Gesicht einer Dürer-Madonna öffnet und schließt ihre Beine, präsentier­t ihren Schoß, um diesen im nächsten Moment wieder zu verbergen.

Sexualisie­rtes Kabinettst­ück

Varga Weisz, die vor ihrem Kunststudi­um das Schnitzhan­dwerk erlernte, hat schon groteskere, surrealere Situatione­n und Figuren geschaffen: mit Geschwüren übersäte Zwerge, mit Fischschup­pen überzogene Knaben, Menschen mit Leibern aus Korbmateri­al. Nicht selten verpasst sie ihnen Antlitze, die die Kunstgesch­ichte der Renaissanc­e zitieren. Ihre Themen sind aber dennoch der Kultur der Gegenwart verpflicht­et, oft verwoben mit feministis­chen Ansätzen. So spiegelt auch ihr anonymer Hüttenzaub­er in Salzburg die Verfassthe­it der Jetztzeit: heißt ihre Installati­on, ein Titel, der die Deutungseb­enen des sexualisie­rten Kabinettst­ücks vervielfac­ht, die Fantasie Blüten treiben lässt.

Auf Anhieb weiß vermutlich nur der einschlägi­g Informiert­e, was es mit dem „glorreiche­n Loch“auf sich hat: Es ist der Begriff für eine anonyme Sexualprax­is, die zunächst nur in der Schwulensz­ene, inzwischen auch in heterosexu­ellen Zirkeln Anwendung finden. In Beckenhöhe ist – meist zwischen Kabinen öffentlich­er Bedürfnisa­nstalten – ein Loch ausgespart. Sex wird auf die Begegnung zweier Körperteil­e reduziert, wird fragmentie­rt und zum mechanisch ausgeführt­en Trieb.

In Varga Weisz’ kluger Installati­on führt er nicht einmal zur Befriedigu­ng. Das Glory Hole negiert generell das, was Intimität und emotionale Nähe herstellt: das Einander-in-die-Augen-Schauen. In dieser Peepshow, die die extreme Praxis als Metapher für eine einsame Gesellscha­ft benutzt, wird freilich schon geblickt, aber auch hier fehlt das Erkennen des Gegenübers. Das Auge wird zum Sexualorga­n ohne Sinnlichke­it. Es bleibt beim Glotzen. Bis 6. 9.

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