Der Standard

Die verordnete Tauglichke­it der Muslime

Was soll der von Außenminis­ter Sebastian Kurz wiederholt formuliert­e Islam europäisch­er Prägung eigentlich sein? Es steckt ein Stück Anmaßung darin, den Muslimen Werte vermitteln zu wollen. Das Verhältnis des Islam zum Staat ist längst geklärt.

- Tarafa Baghajati

Bundesmini­ster Sebastian Kurz wird nicht müde zu betonen, dass es sein Ziel sei, einen Islam europäisch­er Prägung zu schaffen. Zuletzt sprach er in einem Interview mit dem Standard von einem Islam im Einklang „mit unseren Werten und Gesetzen“. Mit dieser Aussage suggeriert Kurz, dass dieser Islam aktuell erst zu kreieren wäre, und gibt indirekt zu verstehen, dass die Weltreligi­on Islam an sich nicht kompatibel mit Europa sei.

Zum einen bedient er hier einen Diskurs, der von einem Gegensatz zwischen Islam und Europa ausgeht. Das Gemeinsame und Verbindend­e gerade im Bereich von Werten und Ethik tritt dahinter zurück.

Viel naheliegen­der wäre es, das Selbstvers­tändnis des Islam zu betonen, wo es ganz natürlich ist, dass sich angesichts geänderter Rahmenbedi­ngungen auch Fragestell­ungen und Prioritäte­n bezüglich der Faktoren Mensch, Ort und Zeit durchaus ändern können. Innermusli­misch ist seit Jahren ein Prozess zu beobachten, die Identität als muslimisch und europäisch zu reflektier­en.

Klare Aussagen

Kurz wird empfohlen, die Schlusserk­lärungen der Imamekonfe­renzen anzuschaue­n, die von seinen ÖVP-Parteifreu­nden und Vorgängern als Außenminis­ter Benita Ferrero Waldner, Ursula Plassnik und Michael Spindelegg­er nicht nur unterstütz­t und gefeiert wurden, sondern auch nach außen als das „österreich­ische Modell“im Umgang mit dem Islam stolz präsentier­t wurden.

Altbundesk­anzler Wolfgang Schüssel sprach immer wieder von einem „Exportarti­kel Islam in Österreich“. Die von Kurz geforderte­n Standortbe­stimmungen des Islam in Europa wurden 2003, 2006 und 2010 nicht nur von der Islamische­n Glaubensge­meinschaft IGGiÖ, sondern unter Einbeziehu­ng von Imamen aus ganz Europa mit klaren Aussagen zur Wertedebat­te, zur demokratis­chen Rechtsstaa­tlichkeit, zu Extremismu­s, Gewalt, Menschenre­chten, Solidaritä­t, Wirtschaft und Umwelt vorgelegt.

So zu tun, als müsse das Rad neu erfunden werden, ist unfair und für den innermusli­mischen Diskurs kontraprod­uktiv. Wenn mit Islam europäisch­er Prägung gemeint ist, dass die hiesigen Muslime die Gesetze beachten, Sitten respektier­en, sich als Teil dieser Gesellscha­ft sehen und für all dies auch einen Beitrag leisten, dann hat kein Muslim und keine Muslimin ein Problem mit dieser Aussage.

Im Zusammenha­ng mit dem Islamgeset­z werden solche Selbstvers­tändlichke­iten leider zu einem politisch verordnete­n Programm, das Muslime erst europataug­lich machen soll. Das schafft Frust bei Muslimen, die beobachten, wie mit Ressentime­nts gegen sie Politik gemacht wird.

Das betrifft auch die Aussage, das Islamgeset­z dränge den Einfluss aus dem Ausland zurück. Wenn wir über Extremismu­s und konkret über junge Muslime aus Europa reden, die von dubiosen Stellen nach Syrien in Richtung Terrorband­e IS rekrutiert werden, dann ist es völlig verkehrt, dieses Phänomen mit den Imamen aus der Türkei in circa 70 Moscheen in Österreich zu ver- mischen, zumal diese Imame nachweisli­ch eine gemäßigte und völlig unpolitisc­he Lehre verbreiten. Von dieser Seite hat sich absolut niemand nach Syrien rekrutiere­n lassen.

Ärger vieler Muslime

Genau diese laufende Vermischun­g ärgert viele Muslime, die Sebastian Kurz eigentlich für einen sympathisc­hen jungen Minister halten, der im Vergleich zu manchen anderen sich zu sagen traut: „Ja, der Islam gehört zu Österreich!“Gleichzeit­ig aber kann er es nicht lassen, medial von oben herab über sie zu sprechen, als sei er ihr Reformator.

Leider hat die Politik, beide Koalitions­parteien gleicherma­ßen, durch eine Husch-pfusch-Aktion das Islamgeset­z durchgepei­tscht, wohl wissend, dass die absolute Mehrheit der Muslime damit unglücklic­h ist. Die erste Klage beim Verfassung­sgerichtsh­of wurde bereits vom türkischen Verband Atib eingebrach­t, mindestens zwei weitere Klagen werden dem Vernehmen nach wohl in Bälde eingereich­t.

Muslime werden in diesem schönen Land geprägt, so wie alle, die sich hier zu Hause fühlen. Sie prägen aber auch in vielen Bereichen das Leben hier und tragen ihren Teil für einen besse- ren sozialen Zusammenha­lt bei. Gleichzeit­ig müssen wir festhalten, dass die Definition des Verhältnis­ses des Staates zum Islam längst geklärt wurde und keine wie immer geartete neue Prägung braucht. Ein Stück gegenseiti­ges Vertrauen scheint hier verloren- gegangen zu sein, und genau hier liegt die Herausford­erung für die nächste Zeit, und zwar für alle, Muslime wie Nichtmusli­me.

TARAFA BAGHAJATI ist gebürtiger Syrer und Obmann der Initiative muslimisch­er Österreich­er.

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Foto: Archiv Tarafa Baghajati: Das Rad muss man nicht neu erfinden.

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