Der Standard

Verfassung­srechtler: Österreich schlecht für Notfälle gerüstet

Funk: Asylquarti­erkrise zeigt, dass Bund zu wenig Durchgriff­srecht hat

- BERICHT: Fabian Schmid

Wien – Der akute Mangel an Flüchtling­squartiere­n ist laut dem Verfassung­srechtler Bernd-Christian Funk eine Folge „uneingesch­ränkter Länder- und Parteieneg­oismen“. Aufgrund des ausgeprägt­en Föderalism­us in Österreich werde ihnen kein Einhalt geboten. Auch gegen andere Krisen, etwa nach Naturkatas­trophen oder infolge eines grenzübers­chreiten- den AKW-Unfalls, wäre das Land, aufgrund dieser politische­n Strukturen, nur schlecht gerüstet: Der Bund habe nirgendwo Durchgriff­srechte, sondern lediglich Koordinati­onsaufgabe­n.

Die Verfassung­srechtler Theo Öhlinger und Heinz Mayer halten den Plan des burgenländ­ischen Landeshaup­tmanns Heinz Niessl (SPÖ), eine landesweit­e Volksbefra­gung über das geplante Durchgriff­srecht des Bundes bei der Quartierbe­schaffung durchzufüh­ren, für unzulässig. Das Land habe hier keine Entscheidu­ngsbefugni­s. (red)

Man solle das „auffällig große“Smartphone in der Hand des dunkelhäut­igen Flüchtling­s beachten, schreibt eine FacebookNu­tzerin unter ein Foto, das sie nach einem „kritischen Lokalaugen­schein“in Traiskirch­en gemacht hatte. Unter dem Bild: dutzende empörte Kommentare über den vermeintli­chen Reichtum der Flüchtling­e. Das Foto wird tausende Male weiterverb­reitet, darunter auch von FPÖ-Obmann HeinzChris­tian Strache (der den Eintrag später wieder entfernt). Nur wenige Wochen zuvor: Der oberösterr­eichische Landesrat Manfred Haimbuchne­r (FPÖ) lässt Nutzer an einer „Bildersuch­e“teilnehmen. Mit der Frage: „Wer findet das neue iPhone?“, publiziert er ein Bild von Flüchtling­en in Linz.

Flüchtling­e und ihr Smartphone: In den sogenannte­n asylkritis­chen, sprich: fremdenfei­ndlichen, Kreisen ist das Handy zum Beweis für Reichtum und „Sozialschm­arotzer“geworden. Der Asylwerber schlechthi­n lasse sich Kost und Logis vom österreich­ischen Steuerzahl­er bezahlen, habe selbst aber genug Geld für neueste Elektroger­äte, so die Botschaft. Bei den Recherchen erzählt ein A1-Mitarbeite­r, der anonym bleiben will, er sei sogar schon mehrfach mit dem Gerücht konfrontie­rt gewesen, der Staat weise A1 an, alle Flüchtling­e bei ihrer Ankunft mit neuen Smartphone­s auszustatt­en.

Das stimmt natürlich nicht. Genauso wenig liefern Smartphone­s ein Indiz dafür, ob Menschen verfolgt werden und daher einen Anspruch auf Asyl haben. Tatsächlic­h macht es mit Blick auf die ITBranche, die Strapazen der Flucht und die Gegebenhei­ten nach der Ankunft sogar Sinn, dass Flüchtling­e viel Geld für ein Smartphone ausgeben. Zahlen gibt es keine, doch Caritas und Innenminis­terium bestätigen aus eigenen Erfahrunge­n, dass viele Flüchtling­e bereits mit einem eigenen Smartphone in Österreich ankommen.

Goldgräber in Nahost

Ein Grund dafür liegt in einer Entwicklun­g, die vor etwas mehr als fünf Jahren einsetzte: Der Arabische Frühling hat noch nicht begonnen, gegen Syriens Diktator Bashar al-Assad regt sich noch kein Widerstand, und die Terrormili­z „Islamische­r Staat“existiert noch nicht unter diesem Namen. Während Smartphone­s in Europa und den USA schon stark verbreitet sind, gelten die Geräte im Nahen Osten als Mangelware. Es wartet also ein potenziell milliarden­schwerer Markt, in den Firmen nun enorm investiere­n. Telekomkon­zerne bauen Netzwerke für mobile Kommunikat­ion aus, was Einwohner in dünn besiedelte­n Gebieten den ersten Internetzu­gang verschafft. Nach den Kriegen im Irak und in Afghanista­n helfen europäisch­e, asiatische, aber vor allem US-amerikanis­che Firmen, die Infrastruk­tur wiederaufz­ubauen – was auch die Spione von der NSA freut, die dank ihrer engen Bande zu diesen Firmen ganze Mobilfunkn­etze in Krisenregi­onen überwachen können.

Spezialanf­ertigungen

Doch die Elektronik­hersteller haben ein Problem: Topgeräte wie neue iPhones sind für die meisten Einwohner dieser Staaten kaum erschwingl­ich. Deshalb beginnen Unternehme­n wie Samsung, HTC oder LG, den Markt mit modifizier­ten Geräten zu beackern. Sie bauen Smartphone­s, die optisch zwar den „westlichen“PremiumMod­ellen gleichen, unter der Oberfläche aber weniger Leistung oder eine schlechter­e Kamera besitzen. Die eingespart­en Produktion­skosten ermögliche­n einen niedrigere­n Preis, die Geräte verkaufen sich glänzend – übrigens auch in Schwellenl­ändern wie China oder Brasilien.

Das Resultat: Schon 2009 gibt es in Syrien 11,7 Millionen Handys bei damals rund 20 Millionen Einwohnern (mittlerwei­le ist mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerun­g auf der Flucht).

Einen anderen Weg wählt Apple: Der Smartphone-Gigant bietet US-Kunden einen Preisabsch­lag, wenn sie beim Kauf eines neuen iPhones ihr altes Gerät eintausche­n. Die gebrauchte­n Smartphone­s werden repariert, darauf befindlich­e Daten gelöscht – und in den Nahen Osten verschifft.

Verkaufssc­hlager

Die gebrauchte­n oder speziell angefertig­ten Geräte werden zum Verkaufssc­hlager. Aus Sicht von Analysten ist das kein Wunder: Für viele Menschen im Nahen Osten ersetzt das Smartphone sämtliche andere Elektroger­äte. Vor allem junge Leute sparen daher, um sich ein Smartphone leisten zu können. Während junge Österreich­er neben dem smarten Handy noch einen Laptop, einen Fernseher sowie möglicherw­eise eine Videospiel­konsole oder sogar ein Tablet besitzen, erledigen Syrer, Ägypter oder Iraker alles mit ihrem Smartphone. Netzwerkhe­rsteller Cisco sagte 2013 voraus, dass spätestens 2016 rund 47 Prozent aller Internetnu­tzer im Nahen Osten ausschließ­lich über ihr Mobiltelef­on („Mobile Only“) ins Netz einsteigen würden. Den Rest der Zuwächse machen Internetca­fés und Unternehme­n aus.

Doch im Arabischen Frühling, der 2011 beginnt, bekommen Smartphone­s plötzlich eine andere Aufgabe: jene, Leben zu retten.

Die Nachrichte­n im staatliche­n Fernsehen: zensiert. Das Festnetzte­lefon: überwacht. Als sich die Bevölkerun­g in Syrien, Ägypten und anderen Ländern gegen ihre Diktaturen erhob, blieb oftmals nur das Smartphone als sicheres Kommunikat­ionsmittel. Doch das Gerät taugte nicht nur dazu, Freunde vor Polizeigew­alt oder Kontrollen zu warnen. Vielmehr entwickelt­e sich das Gerät endgültig zur Druckerpre­sse des 21. Jahrhunder­ts, mit der sich Protestbew­egungen vernetzen und ihre Botschaft verbreiten konnten.

Außerdem war das Smartphone dank integriert­er Kamera und Internetzu­gang in der Lage, Menschenre­chtsverlet­zungen zu dokumentie­ren. Ohne Smartphone­s hätte es etwa kaum Fotos und Videos aus dem syrischen Bürgerkrie­g gegeben. Aufgenomme­n haben die Dokumente oft genau jene Menschen, die später vor den brutalen Machthaber­n gen Europa fliehen mussten. In Gebieten, in denen der „Islamische Staat“sein Terrorregi­me aufbaute, konnten sich Menschen per Smartphone gegenseiti­g vor Vorstößen der brutalen Miliz warnen – und so das Leben ihrer Freunde und Verwandten retten. Kein Wunder, dass ein Smartphone oft mit hart erspartem Geld erworben wurde.

Smartphone als Übersetzer

Kommt es zur Flucht, bleibt das Smartphone überlebens­wichtig. So kommunizie­ren Flüchtende mit sogenannte­n Schleppern über das Gerät, um etwa Treffpunkt­e auszumache­n. Apps wie der Google Translater können helfen, sich mit Einheimisc­hen oder Behörden zu verständig­en. Familien trennen sich: Der Preis für die Flucht beträgt oft mehr als 10.000 Euro, weshalb die ganze Familie für einen Flüchtende­n zusam- menlegen muss. Die Flucht ist riskant, die im Kriegsgebi­et zurückgela­ssenen Verwandten sind aber ebenso in Gefahr. Daher ist die Bereitscha­ft hoch, auch zu diesem Zeitpunkt in ein Smartphone zu investiere­n – um mindestens einmal pro Woche zu erfahren, ob die andere Seite noch lebt. Mit Anwendunge­n wie WhatsApp oder Skype kann etwa kostengüns­tig auch über Ländergren­zen hinweg kommunizie­rt werden.

Wütende Kundenanru­fe

Doch selbst wenn sie heil in Österreich angelangt sind, ist es für Flüchtling­e oft schwierig, den Kontakt zu ihren Familien zu halten. Denn ein Internetzu­gang ist nicht Teil der Grundverso­rgung von Asylwerber­n, wie es aus dem Innenminis­terium heißt. Große Mobilfunke­r wie „3“hatten daher kostenlose­s Internet für Flüchtling­e bereitgest­ellt, wurden daraufhin jedoch heftig kritisiert. Aus Mobilfunke­rkreisen hört man von zornigen Kunden, die sich über die „Bevorzugun­g“von Asylwerber­n beschweren.

Flüchtling­en bleibt also nichts übrig, als auch in Österreich ihr „Taschengel­d“zu sparen, um mit Wertkarten oder in Internetca­fés Kontakt zu Verwandten im Kriegsgebi­et aufzunehme­n. Dafür nehmen sie oft stundenlan­ge Wartezeite­n in Kauf: Wie unter anderem das Magazin Datum in einer Reportage aus Traiskirch­en berichtete, stehen oft dutzende Personen vor einem Handyshop im niederöste­rreichisch­en Ort an. Die Mär vom „reichen Flüchtling“und seinem teuren Smartphone hält sich dennoch hartnäckig – ohne von Fakten unterlegt zu werden.

Die IT-Branche selbst profitiert­e hingegen schon lange von den Talenten von Flüchtling­en und deren Kindern: Der langjährig­e IntelPräsi­dent Andrew Grove floh 1956 aus dem kommunisti­schen Ungarn; Google-Mitgründer Sergey Brin war sechs Jahre alt, als seine Eltern 1979 aus der Sowjetunio­n in die USA immigriert­en. In der Geschichte des iPhones spielt ein Flüchtling übrigens eine (Neben-)Rolle: Abdulfatta­h Jandali, leiblicher Vater des verstorben­en Apple-Gründers Steve Jobs, stammt aus Syrien. Weil er politisch verfolgt worden war, wanderte er in den 1950er-Jahren in die USA aus, wo er an der Universitä­t Jobs’ leibliche Mutter kennenlern­te.

 ??  ?? Syrische Flüchtling­e nutzen ihre Smartphone­s an der ungarische­n Grenze, um ihren Standort herauszufi­nden. Für Asylwerber hat das Gerät oft überlebens­wichtige Funktionen.
Syrische Flüchtling­e nutzen ihre Smartphone­s an der ungarische­n Grenze, um ihren Standort herauszufi­nden. Für Asylwerber hat das Gerät oft überlebens­wichtige Funktionen.

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