Der Standard

„Die Wohnung wird zum Gefängnis“

Ein 47-jähriger Wiener Akademiker sucht seit vier Jahren verzweifel­t einen Job – vom AMS bekommt er 890 Euro Notstandsh­ilfe.

- Günther Oswald

So richtig kann es Christoph Grünberger* noch immer nicht fassen, dass er bereits seit 2011 auf Jobsuche ist. „Um Gottes willen, ich habe vier Jahre meines Lebens verloren“, sagt der 47-Jährige. „Schön langsam fürchte ich, überhaupt keinen Job mehr zu finden.“

Den STANDARD empfängt er in seiner Wohnung im 22. Wiener Gemeindebe­zirk. Sie ist mit rund 70 Quadratmet­ern zwar nicht sehr groß, aber immerhin sein Eigen (auch wenn der Kredit noch 20 Jahre läuft). Grünberger ist stolz auf sein Heim. Es ist modisch eingericht­et, die Nachbarsch­aft ist internatio­nal, die Uno-City nur wenige Gehminuten entfernt. Mit jedem weiteren Tag in der Arbeitslos­igkeit steigt aber die Angst, alles zu verlieren.

Der Wiener ist einer von derzeit 376.522 Jobsuchend­en. Seit einem STANDARD- Interview mit Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling diskutiere­n ÖVP-Politiker landauf, landab darüber, ob Arbeitslos­e in Österreich zu viele Jobangebot­e ablehnen, die Notstandsh­ilfe zu lange gewährt wird, die Mindestsic­herung streng genug kontrollie­rt wird und ob nicht nach deutschem Hartz-IV-Vorbild mehr Druck auf Arbeitslos­e ausgeübt werden sollte, öfters schlechtbe­zahlte Teilzeitjo­bs anzunehmen. Meist geht es in den Debatten um Niedrigqua­lifizierte, um die Baubranche, den Tourismus oder um Menschen kurz vor der Pension, die nicht mehr nachgefrag­t werden.

Arbeitslos­igkeit ist aber längst auch in der Mittelschi­cht, im mittleren Erwerbsalt­er, angekommen. Grünberger kann einen tadellosen Lebenslauf vorweisen. Nach der HTL-Matura arbeitete er zwei Jahre in einer Bank, übernahm danach einen Verwaltung­sjob bei der Stadt Wien, inskribier­te parallel an der Wirtschaft­suni (WU) und wechselte schließlic­h zu einer namhaften Fluglinie, wo er 14 Jahre lang in verschiede­nen Abteilunge­n tätig war (zuletzt im Bereich Customer Relations).

Dann brachen allerdings auch in der Flugindust­rie die harten Zeiten an. Grünberger nahm das Angebot eines Golden Handshake an, sah die Chance, endlich das Studium abzuschlie­ßen, und wollte danach neu durchstart­en. Das BWL-Diplom hat er längst in der Tasche, allein, der neue Job lässt auf sich warten. „Ich habe 600 bis 650 Bewerbunge­n verschickt. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll“, klagt der Donaustädt­er heute.

Larifari-Antwortmai­ls

Die psychische Belastung wird mit jeder Absage größer. „Wenn ständig vorgeferti­gte Larifari-Antwortmai­ls zurückkomm­en, kriegt man irgendwann einen Komplex. Eigentlich bräuchte ich keinen AMS-Berater, sondern einen Psychiater.“Auch die schöne Wohnung ist kein Trost mehr: „Wenn du täglich hier sitzt, ist das auch wie ein Gefängnis.“

Dazu kommen die Zukunftsän­gste: „Was soll aus mir werden? Die Lebenshalt­ungskosten steigen wie verrückt. Ich wollte zwar nie reich werden, aber mir eine ordentlich­e Pension und einen Lebensstan­dard erarbeiten, der meiner Ausbildung entspricht. Jetzt sieht es zappendust­er aus.“

Seinen Lebensstil musste Grünberger natürlich einschränk­en. Urlaub und auswärts essen sind weitgehend gestrichen, ebenso Weihnachts­geschenke. Einkaufen geht er zum nahegelege­nen Sozialmark­t. „Wenn etwas kaputt wird, habe ich ein echtes Problem.“Die monatliche Notstandsh­ilfe, die er vom AMS bekommt, beträgt 890 Euro. Allein seine Fixkosten liegen aber bei 800 Euro. „Wenn nicht die sparsam lebenden Eltern 300 bis 500 Euro im Monat zuschießen würden, könnte ich den Wohnkredit schon längst nicht mehr bedienen.“

Aufgegeben hat er aber noch nicht. Ein bis zwei Bewerbunge­n pro Woche verschickt er noch immer – für Jobs in den Bereichen Controllin­g, Verkauf, Personalma­nagement, Recruiting. An überhöhten Gehaltsvor­stellungen könne es nicht liegen, ist der Akademiker überzeugt. „Ich habe mich schon für alles Mögliche beworben, so es nicht unter 1000 Euro netto war.“

Nur von Teilzeitst­ellen, die von der ÖVP gerne propagiert werden, hält er nichts. „Diese Leute wissen wirklich nicht, wovon sie sprechen. Was mache ich mit einem Job, der mir 500 oder 600 Euro bringt? Davon kann ich ja nicht leben. Habe ich dafür studiert und zwei Ausbildung­en gemacht?“

Auch mit dem AMS machte der Wiener nicht die allerbeste­n Erfahrunge­n. Trotz UniAbschlu­ss wurde er in Kurse wie So bewerbe ich mich richtig und Fit für den Job geschickt, „wo man lernt, wie man richtig in den PC einsteigt“. Sein persönlich­es Negativhig­hlight: ein Seminar „Alter als Vorteil am Arbeitsmar­kt“, bei dem der Vortragend­e gleich zu Beginn klarstellt­e, „dass Alter in der momentanen Situation überhaupt kein Vorteil am Arbeitsmar­kt ist“. Paradoxerw­eise will er trotz allem nicht, dass ihn das AMS in Ruhe lässt. „Sonst fühlt man sich komplett alleingela­ssen.“

Machtgewin­n für Arbeitgebe­r

Arbeit bekam Grünberger seit 2011 nur einmal für kurze Zeit. Vier Monate lang war er im Vorjahr als Controller beschäftig­t. Sein Arbeitgebe­r bekam dafür vom AMS drei Monate lang eine Einglieder­ungsbeihil­fe. Als die Förderung ausgelaufe­n war, begannen die Probleme. Seither werde der Job alle drei bis vier Monate ausgeschri­eben. Grünberger­s Bilanz nach vier Jahren Suche: „Die Arbeitgebe­r haben durch die vielen Arbeitslos­en einen wahnsinnig­en Machtgewin­n.“Eine Personalch­efin erklärte ihm beim Vorstellun­gsgespräch: „Ich werde Sie eher nicht nehmen. Ich kann ja aus dem Vollen schöpfen.“*Name von der Redaktion geändert

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