Quartiernot als Folge politischer Unreife
Der österreichische Föderalismus hat laut dem Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk entscheidend zu der Asylquartierkrise beigetragen. Auch sonst sei das Land für Notfälle schlecht vorbereitet.
ANALYSE: Wien – Die Worte „Notfall“oder gar „Katastrophe“werden in Zusammenhang mit Flüchtlingen in der Regel nur von Vertretern der politischen Rechten in den Mund genommen. Doch in der aktuellen Situation sind diese Begriffe auch abseits ihres Eskalationsgehalts, wenn man sie auf Schutzsuchende anwendet, relevant.
Denn dass es in einem reichen, friedlichen Land wie Österreich nicht möglich ist, 2000 Menschen, die in Traiskirchen derzeit obdachlos ausharren müssen, zumindest ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, weist – schließt man das bewusste Inkaufnehmen dieser Situation aus – auf folgenschwere Mängel im Umgang mit unerwarteten, krisenhaften Situationen hin. Also im Management von Notfällen, zu deren Bewältigung Durchgriffskompetenz gefragt ist und alle Beteiligten an einem Strang ziehen sollten.
Genau dafür jedoch fehlen im stark föderalistisch organisierten Staat Österreich vielfach die strukturellen Voraussetzungen. Vom Jugendschutz über Schulfragen bis hin zum Zivilschutz, etwa bei Hochwasser oder wenn es zu einem grenzüberschreitenden AKW-Unfall kommen sollte, liegen die Kompetenzen in weiten Teilen bei den Bundesländern.
Recht auf Versorgung
Auch bei der Flüchtlingsunterbringung ist das so. Konkret seit 2004, als die EU allen Mitgliedsstaaten per Richtlinie auftrug, Asylwerbern einen Rechtsanspruch auf Versorgung zu gewähren. In Österreich wurde daraufhin unter Innenminister Ernst Strasser ( ÖVP) die Grundversorgungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern geschaffen. Ohne Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung teilt sie die Verantwortung für Asylwerberquartiere unter den neun Bundesländern und dem Bund auf.
Der Bund, also das Innenministerium, hat hierbei kein Durchgriffsrecht. Ihm kommt nur eine koordinierende Funktion zu. Hier wie etwa auch beim Zivilschutz herrscht ein ausgeprägter Föderalismus, der laut dem Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk einen „demokratisch reifen Umgang ohne Länder- und Parteiegoismen“voraussetzen würde.
Im Katastrophenfall, so Funk, habe das bisher einigermaßen funktioniert. Im stark politisierten und emotionalisierten Umgang mit Flüchtlingen hingegen überhaupt nicht. Insofern zeige das Asylwerberquartierfiasko ein verfassungspolitisches Defizit auf: Für den Umgang mit Notfällen sei Österreich politisch-strukturell „nur schlecht gerüstet“, meint der Verfassungsexperte.
Heilige Kuh
Um dies zu ändern, wären laut Funk ergebnisoffene Diskussionen nötig. Die geplante Verfassungsänderung, um dem Bund Durchgriff auf potenzielle Flüchtlingsquartiere in den Ländern zu geben, sei hier ein erster Schritt.
Bis dato jedoch stand die heilige Kuh des Föderalismus unter massivem Schutz. Im von 2003 bis 2005 gelaufenen Verfassungskonvent wurde sie, neben der demokratischen Regierungsform Österreich, von vornherein von jeder Kritik ausgenommen.
Auch seither geschah diesbezüglich nichts – jetzt, zehn Jahre später, stellt sich der Föderalismus österreichischer Prägung als akut hinderlich heraus. Es kann also durchaus von ungenutzt verstrichener Zeit gesprochen werden.
Das Gleiche gilt aber auch für die Vertragspartner der Grundversorgungsvereinbarung – Bund wie Länder. Sie wiederum haben nicht rechtzeitig dafür Sorge getragen, dass Raum- und Bauordnungen zur Beschaffung von genug Wohnraum für Flüchtlinge entbürokratisiert wurden. Jetzt sind vier Länder bei der Raumordnung nachgezogen. Doch gegen die Obdachlosigkeit von Flüchtlingen wird das erst in mehreren Wochen bis Monaten wirken. Dann, wenn die jetzt möglichen neuen Quartiere bezugsfertig sein werden.