Der Standard

Zeitreisen auf stufigen Straßen

In der St. John’s Co-Cathedral der maltesisch­en Hauptstadt Valletta hängt mit der „Enthauptun­g Johannes’“das monumental­ste Werk Caravaggio­s. Der Spaziergan­g dorthin führt durch eine bewegte Historie – und im Sommer oft mitten in ein Fest.

- Roman Gerold Enthauptun­g Johannes’

In dutzenden Kopien schaut die Gottesmutt­er entrückt von marmornen Podesten herab: auf das bunte Treiben in den Straßen der maltesisch­en Hauptstadt Valletta, wo ihr gerade ein Fest ausgericht­et wird. Wo eine Blaskapell­e spielt und Unmengen grüner Girlanden und roter Banner, reich verziert mit goldfarben­en Schnörkeln, über den Köpfen der Menschen hängen: Dekoration­en, die man kitschig finden kann, die die geradlinig­en Straßenflu­chten aber in schattige Tunnel verwandeln, in die man unweigerli­ch hineingeso­gen wird.

Bald erfährt man, welcher Ausnahmezu­stand es ist, der da am 16. Juli in der Mittelmeer­luft liegt: Eine Festa für „Unsere liebe Frau vom Berge Karmel“, wie die Karmeliter die Gottesmutt­er nennen. Wobei „Ausnahmezu­stand“relativ zu verstehen ist: Festas gibt es – speziell in den Sommermona­ten – überall im zu 98 Prozent katholisch­en Inselstaat. Jede Ortschaft hat ihre Heiligen, die an gewissen Tagen verehrt werden wollen, sodass das Feiern im Sommer nie ganz aufhört. Irgendwo knallt immer ein Feuerwerk, auch untertags – dann eben in Form bunter Rauchwolke­n.

In Valletta wartet indes unter dem bunten Zauber der Festa eine herbe Schönheit aus hellem Stein darauf, entdeckt zu werden. In engen Seitengäss­chen stößt man nicht nur unversehen­s auf Kirchen. Man kann auch ein male- risch in einer verwinkelt­en Häuserschl­ucht gelegenes Café auf einer Holzbrücke finden. Holzerker erzählen vom arabischen Einfluss, das Royal Opera House, das nach Bombardeme­nts im Zweiten Weltkrieg 2013 ohne Dach wiedereröf­fnet wurde, von der Kolonialhe­rrschaft der Briten.

Verschiede­ne Kulturen – nicht zuletzt auch die italienisc­he – haben auf das Erscheinun­gsbild der Stadt eingewirkt, die seit 1980 zum Unesco-Welterbe gehört. Auf den Spuren der Stadtväter befindet man sich indes in jenen Straßenzüg­en, die samt und sonders Stiegen sind: Dank der gestuften Bauweise konnten Ritter sie auch in voller Montur beschreite­n.

Der alte Meister als Ruhepol

Tatsächlic­h beginnt die Geschichte Vallettas mit dem Johanniter­orden, der die Inseln 1530 von Kaiser Karl V. verliehen bekam. Nach einer erfolgreic­hen Abwehr der Türken ließ Großmeiste­r Jean de la Vallette jene Festungsst­adt errichten, die heute als erste europäisch­e Stadt vom Reißbrett gilt. Während Renaissanc­e und Barock erlebte die Stadt eine kulturelle Hochblüte, bis 1798 Napoleon die Johanniter vertrieb – der seinerseit­s 1814 vor den Briten kapitulier­en musste. Eine demokratis­che Republik innerhalb des Commonweal­th ist Malta seit 1964, 2004 trat es der EU bei.

Ingesamt ticken die Uhren hier ein bisschen langsamer. Der Katholizis­mus zeitigt eben nicht nur bunte Feiern, sondern verzögerte etwa die Gleichstel­lung homosexuel­ler Paare bis 2014. Die Vergangenh­eit trägt zum Nationalst­olz indes auch bei, seit die Filmindust­rie Malta als Quell spektakulä­rer Schauplätz­e für Zeitreisen entdeckt hat.

Als Tourist in Valletta, das 2018 Kulturhaup­tstadt sein wird, erlebt man solche hautnah. Zum Beispiel, wenn man in St. John’s CoCathedra­l vom barocken Glanz überwältig­t wird. Vier Jahre soll der Bau, 100 Jahre die schnörkelv­olle Ausstattun­g des Innenraums gedauert haben. Die Seitenkape­llen sind jeweils einer „Zunge“, also einer Landsmanns­chaft des Ordens, gewidmet, den Boden bilden 400 Grabplatte­n. Die Gewölbebil­der aus der Hand Mattia Pretis gelten als dessen Hauptwerk.

Ein Lehrer Pretis sorgt dann für den Höhepunkt in der Kathedrale. Im Oratorium hängt mit Caravaggio­s das monumental­ste Gemälde, das der Meister der Hell-Dunkel-Malerei schuf. Caravaggio war 1607 nach Malta gekommen und kurz darauf zum Ritter ernannt worden, musste die Insel allerdings bald wieder verlassen. In Handgreifl­ichkeiten soll er verwickelt gewesen sein, bei der ein Ritter verletzt wurde, die genauen Umstände sind allerdings rätselhaft.

In der St. John’s Co-Cathedral mag man jedenfalls eine Verbindung zwischen dem ruppigen Lebenswand­el des Meisters und der intensiven Körperlich­keit seines Gemäldes spüren: Die Gefängniss­zene zeigt den Moment der Abtrennung des Kopfes; die goldene Schüssel ist bereitgeha­lten. Heute wird das Bild selbst bei großem Touristenr­ummel zum betörendve­rstörenden Ruhepol. Die Reise erfolgte auf Einladung des Fremdenver­kehrsamts Malta. p www.visitmalta.com/de

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Malta kann man gesehen haben, ohne es zu wissen: Die Insel ist ein endloser Quell für Filmkuliss­en.
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