Straff geführte Bruckner-Tour der Musterknaben
Salzburg – Alles wie immer in Salzburg. Das Kapital der Stadt ist ihre Vergangenheit, und der Preis, den sie für den üppig sprudelnden Zins der Tourismuseinnahmen zahlt, ist der der Entseelung ihres Kerns. Zur Belebung des optischen Einerleis der internationalen Stadtbeschauer tragen heuer vollverschleierte Besucherinnen aus dem arabischen Raum bei, mit kinderfahrradgroßen Sonnenbrillen vor den Sehschlitzen. Vergangenheitsselig ist großteils auch das Konzertprogramm der Festspiele. Die Wiener Philharmoniker dürfen sich beim „weltgrößten Klassikfestival“jenen widmen, mit denen sie sich eng verbunden fühlen. Dazu gehört, mittlerweile, auch Anton Bruckner.
Bernard Haitink geht dessen Achte in gemächlichem Tempo an; präzise, intensiv, sprechend wird das erste Motiv von den tiefen Streichern vorgetragen. Der 86-Jährige führt das Orchester straff, die Partitur wird akkurat präsentiert; die sakrale Aura von Bruckners Musik will sich nur bedingt einfinden. Verglichen mit Haitink betonen die BrucknerDeutungen junger Dirigenten wie Robin Ticciatis (ein Extrem) oder Andris Nelsons’ das lyrische Moment mehr; Christian Thielemann gelingt es besser, einen durchgehenden Spannungsbogen über der Struktur zu bewahren.
Weniger fahles, irrlichterndes Flirren als eckig-akkurates Fortschreiten dann die PianissimoBegleitfiguren der Violinen im Scherzo. Haitink staffelt die dynamischen Steigerungen mit Übersicht, bei manchen dissonanten Akkorden misst man wirklichen Reibungsschmerz. Die Philharmoniker musizieren musterknabenhaft und überschreiten die Grenze des Kultivierten nie. Die Streicher vergessen sogar fast auf ihr sattes Glühen.
Gegen Ende des Adagios werden die Stimmführer der Streicher initiativer, nur die Celli üben sich in Zurückhaltung. Haitink nimmt sich bei Fermaten fallweise erstaunlich wenig Zeit. Im Finalsatz gelingt gegen Ende noch einmal eine so organische wie gewaltige Steigerung. Stehender Beifall, den Haitink knapp zur Kenntnis nimmt.