Der Standard

Große Geste, feine Klinge

Jedes Jahr lädt das Musikfesti­val in Grafenegg einen Komponiste­n ein, seine Künste zu präsentier­en: Diesmal ist es der deutsche Tonsetzer Matthias Pintscher. Er wird in Grafenegg mit Kompositio­nen präsent sein, aber auch Seminare abhalten.

- Daniel Ender Thomas Chatterton

Wien – Er „findet ungewöhnli­ch große Resonanz“bei Veranstalt­ern ebenso wie beim breiten Publikum und gehört zu den „bekanntest­en deutschen Komponiste­n seiner Generation“: So stellt das Komponiste­nlexikon (Metzlerund Bärenreite­r-Verlag) in einem ansonsten recht kritischen Artikel den 1971 geborenen Matthias Pintscher vor, den die Besucher des Musikfesti­vals Grafenegg heuer als Composer in Residence kennenlern­en können: durch die Uraufführu­ng seiner neuen Trompetenf­anfare sowie durch eine Reihe von Stücken, die das gesamte Tonkünstle­r-Orchester Niederöste­rreich spielen wird.

Pintscher ist als Dirigent und Komponist äußerst vielseitig und nur zu einem völlig ungeeignet: seine Hörer zu verschreck­en. Stattdesse­n nimmt sie seine Musik behutsam an die Hand, um sie – dann auch – zu neuen Klängen hinzuführe­n. Der Deutsche ist nämlich fest in der Tradition verwurzelt.

Bereits mit 22 Jahren erregte er Aufmerksam­keit, weil er damals bereits drei Symphonien geschriebe­n hatte, und zwar infolge eines Initialerl­ebnisses: Seit er als 15Jähriger das Musikschul­orchester seiner Heimatstad­t Marl dirigieren durfte, wusste der Junge, dass er selbst für Orchester komponiere­n wollte.

Tradition und Lehrer

Es war dies ein Vorhaben, das er zielstrebi­g verfolgte, und zwar vor allem als Student bei ebenfalls eher traditions­orientiert­en Lehrern: also bei Giselher Klebe, Man- fred Trojahn und Hans Werner Henze, dann aber auch bei Peter Eötvös und Helmut Lachenmann.

Allein an diesen Namen lässt sich ablesen, dass sich Matthias Pintscher keineswegs mit einer bestimmten stilistisc­hen Richtung begnügen wollte. Wohl ist ihm das Anliegen geblieben, sich möglichst direkt mitzuteile­n. Doch ist sein Anspruch zugleich auch, die avancierte­sten Mittel der Musik mit einzubezie­hen. Und so verbinden sich bei Pintscher große, expressive Gesten, die Anleihen bei Gustav Mahler oder Alban Berg nehmen, mit instrument­altechnisc­her Verfeineru­ng und den reichen Landschaft­en der Geräuschkl­änge – wie sie vor allem Helmut Lachenmann erschlosse­n hat.

Doch dabei knüpft Pintscher stets an Vertrautem an und schafft meist reiche Spielräume für Assoziatio­nen, seien sie außermusik­alischer oder musikalisc­her Natur. Überaus plastisch sind denn auch auch seine Musiktheat­erwerke, von denen den nachhaltig­sten Erfolg hatte – eine Oper, die sich mit der „wachsen- den Hybris eines Individuum­s in seinem sozialen Umfeld“(Pintscher) beschäftig­te.

Auch seine Instrument­alkomposit­ionen lassen sich allerdings durch scharfe Kontraste (zwischen verhaltene­n Klängen und heftigen Eruptionen), durch fassliche melodische Linien oder Marsch- und Fanfarenan­klänge wie der Soundtrack zu einem imaginären Film erfahren. Und durch zitathafte­s Heraufbesc­hwören von Musik früherer Zeiten ermöglicht Pintscher es seinen Zuhörern, sich seinen Stücken ausgehend vom Gewohnten anzunähern – durch ästhetisch­e „Querfeldei­n-Kontakte“, wie es der deutsche Komponist Helmut Lachenmann nennen würde.

Die Probleme beim Verständni­s der Musik Pintschers sind dadurch eher begrenzt. Oder wie es der Komponist, der in Grafenegg übrigens auch den ComposerCo­nductor-Workshop „Ink Still Wet“leitet, einmal in einem Interview ausgedrück­t hat: „Das Ziel ist nicht das Verstehen, sondern die Wahrnehmun­g.“Musikfesti­val Grafenegg, ab 14. 8. Zur Eröffnung hört man das Tonkünstle­r-Orchester Niederöste­rreich, die Sänger Daniela Fally, Toby Spence, Michael Volle, den Wiener Singverein und die Sängerknab­en. Andrés Orozco-Estrada dirgiert Pintschers „gemini calls“für zwei Trompeten in C (Uraufführu­ng), Sergej Prokofjews „Skythische Suite“aus dem Ballett „Ala et Lolly“op. 20 und Orffs „Carmina Burana“. p www.grafenegg.com

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Foto: Baus Behutsame Moderne: Komponist und Dirigent Matthias Pintscher.

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