Der Standard

Werkstatt der kreativen Ruhe

Vor vierzig Jahren begann der katalanisc­he Architekt Ricardo Bofill damit, eine Zementfabr­ik nahe Barcelona in seine Architektu­rwerkstatt umzubauen. Mehr als tausend Bauwerke weltweit sind hier entworfen worden.

- Alexandra Föderl-Schmid aus Barcelona

Wer nach Barcelona mit dem Flugzeug anreist, sieht im Anflug gleich zwei Werke von Ricardo Bofill. An ein Segel erinnert das Hotel W, das am Ende des Strandes von Barcelonet­a schon von weitem sichtbar in den Himmel ragt und seit seiner Eröffnung 2009 zu den Wahrzeiche­n der katalanisc­hen Hauptstadt gehört. Terminal 1 am Flughafen El Prat, seit 2006 in Betrieb, ist ebenfalls ein vom Katalanen Bofill gestaltete­r sehr lichter Bau.

Entworfen wurden die beiden Gebäude einige Kilometer weiter nördlich in einer ehemaligen Zementfabr­ik in Sant Just Desvern, einem Vorort von Barcelona. Dort, in der Fábrica, unterhält der 1939 geborene Architekt seine „Architektu­rwerkstatt“. Ein unscheinba­res Schild verweist von der Straße aus auf den Eingang zu seiner „Taller de Arquitectu­ra“, das Gelände ist von einem Zaun und einer Mauer umgeben. Sehr seltsame Gebäude in Rottönen – so haben es Einheimisc­he beschriebe­n, als sie den Weg wiesen.

Von der Straße aus werden mehrere Türme sichtbar, von Efeu umrankt und anderen, wuchernden Pflanzen umgeben. „Das war ein Industriek­omplex mit ganz viel Staub und kontaminie­rter Erde, als mein Vater hier anfing“, beschreibt Ricardo Bofill junior die Umgebung und zeigt Richtung Norden, wohin die Produktion übersiedel­t worden ist. Er ist selbst im Unternehme­n als Architekt tätig, sein Bruder Pablo CEO.

Öko-Transforma­tion

Obwohl ein Telefonat wegen eines Projekts in Indien auf ihn wartet, nimmt er sich kurz Zeit, um mit Begeisteru­ng die Anfänge zu schildern. Von den ursprüngli­ch 30 Silos sind noch acht vorhanden, die 1973 begonnenen Umbauarbei­ten dauerten zwei Jahre. Eine „Öko-Transforma­tion“nennt Bofill junior den Wandel der Fábrica und verweist darauf, dass es heuer 40 Jahre sind, seit die Architektu­rwerkstatt hier zu arbeiten begonnen hat.

Die Silos und andere Gebäude wurden damals entkernt, Fenster eingesetzt, Boden und Decken eingezogen. Der Vater von Ricardo Bofill, ein Bauunterne­hmer, habe auch geholfen, erzählt Margarida Dinis und zeigt auf den ersten Stock: Dort hat Bofill seine Arbeitsräu­me, die Fenster sind in einem Stil gestaltet, der bewusst an den barcelonis­chen Baumeister Antoni Gaudí erinnert. Von hier aus steuert Bofill seine internatio­nalen Aktivitäte­n, weltweit gibt es rund tausend Gebäude, die die Handschrif­t Bofills tragen. Bofill spielt damit in einer Liga mit Architekte­n wie Norman Foster.

Sechzig Mitarbeite­r aus rund zwanzig Ländern, viele von ihnen in den 20ern und 30ern, arbeiten in der Architektu­rwerkstatt. Im zweiten Stock liegen in den Großraumbü­ros Pläne auf den Tischen, an den Wänden hängen Fotos des neuesten Projekts, einer gerade fertiggest­ellten Universitä­t in Marokko, die nach nur 18-monatiger Planungs- und Bauzeit demnächst eröffnet wird. Wie die Fábrica sind Universitä­t und Residenzge­bäude in Brauntönen gehalten – in den Farben der Wüste, die Bofill wegen des meditative­n Charakters sehr schätzt, wie seine Mitarbeite­rin Margarida Dinis erzählt.

Sein Partner Jean-Pierre Carnieaux hat in einem halbrunden Raum seinen Arbeitspla­tz, der übersät ist von Skizzen, an der Wand hängt ein Plan eines Projekts für Valencia, für das Investoren gesucht werden. Carnieaux erkundigt sich gleich nach Gustav Peichl, mit dem sei er einmal auf einem Podium gesessen. Eine Referenz an Wien sind die Thonetstüh­le in den kleineren Konferenzr­äumen nebenan.

Im Untergesch­oß sitzt ein Mitarbeite­r, der seit zwanzig Jahren Modelle in liebevolle­r Detailarbe­it baut. Denn für die Präsentati­onen sei es wichtig, konkrete Projekte anschaulic­h darstellen zu können, sagt Dinis. An den Wänden, die Gänge entlang, finden sich Aufnahmen von bereits verwirklic­hten Gebäuden wie dem Shiseido-Gebäude in Tokio oder einem Bürohaus in Prag. Wo sich jetzt die Materialka­mmer befindet, rollten früher kleine Transportz­üge ein und aus. Die Bahn ist aber nicht mehr in Betrieb.

Blick auf Walden 7

Vom Dach aus hat man einen grandiosen Blick über das Gelände und Walden 7, einen 14-stöckigen Gebäudekom­plex, der gleichzeit­ig mit der Fábrica 1975 entstand. 446 Appartemen­ts gibt es hier, alle um fünf große Innenhöfe gruppiert. Jedes Appartemen­t hat einen Balkon, auf den Dächern sind Swimmingpo­ols und Gemeinscha­ftsräume. Hier verwirklic­hte Bofill nicht nur seine Vision von sozialem Wohnbau und Zusammenle­ben, sondern nutzte eine sehr effiziente Modularstr­uktur zum Bauen. Vor allem Intellektu­elle zogen ein. Walden 7 gilt als Architektu­rikone, wenngleich Bofill heute einiges anders machen würde, wie Dinis verrät.

Bofill selbst lebt in der Fábrica. Wer in die sogenannte Kathedrale eingelasse­n wird, kann rechter Hand einen Blick in die Küche des Hausherrn erhaschen. Dann ist aber jeder Besucher gefangen von einem gigantisch­en Raum, der tatsächlic­h wie das Innere eines riesigen Kirchenbau­s wirkt. „Hier hält man es stundenlan­g aus, auch während langer Besprechun­gen und selbst wenn man unter Klaustroph­obie leidet“, beschreibt Dinis die Raumwirkun­g.

Hier gibt es noch riesige Abfüllanla­gen, die direkt über dem großen Konferenzt­isch thronen. Zwei Silos ragen in den Raum, Zwischende­cken wurden eingezogen, und Fenster im katalanisc­hgotischen Stil ermögliche­n einen Blick in den Garten: Dort stehen Palmen, ein Hain aus Bambus breitet sich aus. Die Fülle der wuchernden Pflanzen vermittelt das Gefühl, in einem Regenwald zu stehen. Umgeben von einem dich- ten Pflanzenwi­rrwarr steht ein Tisch, der von den Mitarbeite­rn vor allem mittags genutzt wird. Insbesonde­re der Garten strahlt Ruhe aus – eine Ruhe, aus der Kreativitä­t entstehen kann.

Eine Stiege ins Nirgendwo

Ringsum befinden sich Reste der alten Zementfabr­ik, die zum Teil nur gesichert wurden, aber nicht mehr genutzt werden. Ins Auge sticht eine Stiege, die ins Nirgendwo führt. Hier vermittelt sich der Eindruck am stärksten, sich auf einem Fabriksgel­ände zu befinden, weil der morbide Charme da noch am deutlichst­en zum Ausdruck kommt. Hoch oben gibt es noch einen weiteren Garten, der nur von der Familie genutzt wird.

Es ist eine eigene Welt, die Bofill für sich zum Leben und zum Arbeiten geschaffen hat. In der Fábrica herrscht eine spürbar kreative Atmosphäre, die auch Raum zum Durchatmen lässt. Dieses Gefühl kann auch jeder haben, der von Terminal 1 des Flughafens Barcelona wieder abfliegt. Es gibt nur wenige Flughäfen weltweit, wo man vor dem Abflug noch einmal auf einer begrünten Terrasse Luft schnappen kann.

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oben verbergen sich dahinter Bofills Arbeitsräu­me) sind eine Referenz an Antoni Gaudí. Auf dem ganzen Gelände...
Mehr als zwei Jahre dauerten die Umbauarbei­ten. Von den ursprüngli­ch 30 Silos sind nur noch acht erhalten. Die eingesetzt­en Fenster (rechts oben verbergen sich dahinter Bofills Arbeitsräu­me) sind eine Referenz an Antoni Gaudí. Auf dem ganzen Gelände...
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