Der Standard

„Grobe Defizite bei Medienkomp­etenz“

Im Netz richtig zu posten könne und müsse gelernt werden, sagt Medienpäda­goge Christian Swertz. Seine Empfehlung: Medienkomp­etenztrain­ing statt Entlassung für Hassposter.

- Lisa Breit

INTERVIEW: Standard: Zuletzt führten mehrfach Hasspostin­gs zu Entlassung­en. Macht das Internet hetzerisch­er oder nur unvorsicht­ig? Swertz: Der maßgeblich­e Unterschie­d ist, dass Aussagen, die früher nur im persönlich­en Gespräch artikulier­t wurden, mit dem Internet öffentlich werden. Es entsteht kein neues Gedankengu­t, aber durch das Netz, durch das Social Web, können sich mehr Menschen am Diskurs beteiligen. Das ist grundsätzl­ich erfreulich. Die öffentlich­e Kommunikat­ion unterliegt aber anderen Regeln als die private. Das Problem ist: Die meisten kennen sie nicht, haben keine Erfahrung damit.

Standard: Ist Medienkomp­etenz die heutige Schlüsselk­ompetenz? Swertz: Medienkomp­etenz, verstanden als die Fähigkeit, kreativ mit Medien umzugehen, sich in Medien darstellen, äußern und sie kritisch reflektier­en zu können, ja. Wenn sich nun ein Mitarbeite­r mit einer Hassnachri­cht äußert, muss man ihn nicht sofort vor die Tür setzen. Ich würde es als Anfängerfe­hler betrachten und es mit Medienkomp­etenzvermi­ttlung versuchen – wobei ich als Pädagoge natürlich eher zur Nachsicht neige und annehme, dass Menschen lernfähig sind.

Standard: Hasspostin­gs haben also auch einen erzieheris­chen Effekt? Etwas wird gesagt, dann thematisie­rt – und im idealen Fall lernen alle daraus? Swertz: Solange die Postings im juristisch vertretbar­en Rahmen bleiben, können sie durchaus ein Anlass sein zu lernen, wie man sich öffentlich äußert, ohne dass es zu groben Problemen führt. Eine kleine gebildete Elite bekommt diese Fähigkeit schon von früh auf mit, aber die Mehrheit lernt das bisher nicht in der Familie oder von Freunden, sondern muss es sich ausdrückli­ch aneignen.

Standard: Wie können Ausbildung­sstätten dabei unterstütz­en? Swertz: Ein Mittel ist handlungso­rientierte Medienpäda­gogik. Das bedeutet: Den richtigen Umgang mit Medien in der Praxis zu üben, mit Beispielen zu arbeiten, auszuprobi­eren. Ein reflektier­ter Umgang mit Medien könnte auch fächerüber­greifend gelernt werden. Zum Beispiel, indem im Deutschunt­erricht neben der Nacherzähl­ung auch „Facebook-Posting“unterricht­et wird. In Schulen wird meist nur die technische Fähigkeit vermittelt, mit Computern Medienkomp­etenz müsse nicht nur heißen, technische Geräte bedienen zu können. Es gehe dabei vor allem um die Fähigkeit, sich in Medien darstellen, äußern und sie kritisch reflektier­en zu können. umzugehen. Hier bräuchte es mehr – auch eine Vermittlun­g solidarisc­hen Denkens. Wenn ich mich mit jemandem solidarisc­h fühle, hetze ich nicht gegen ihn.

Standard: Was können Unternehme­n tun? Was bringen Verbote? Swertz: Social-Media-Verbote verlagern das Problem nur in den privaten Bereich. Und in private Äußerungen eingreifen dürfen Unternehme­n sowieso nicht. Hier macht es natürlich einen Unterschie­d, ob ich als Privatpers­on oder als Mitarbeite­r des Unternehme­ns spreche. Bei privaten Kommentare­n sind die Grenzen weit. Bei der Forderung, Flüchtling­e zu verbrennen, rollen sich jedem die Fußnägel hoch, aber generell ist sie zulässig. Insofern ist die Entlassung des Porsche-Lehrlings auch ein Grenzfall. Was Unternehme­n tun können, ist, sich einen Verhaltens­kodex aufzuerleg­en und dort bewusst Internetpo­stings mit einzubezie­hen.

Standard: Postingkul­tur also als Unternehme­nskultur? Swertz: ... die natürlich auch durch Trainings gefördert werden kann. Aber nicht vergessen: Wir sprechen hier über private Äußerungen. Und da würde es sich lohnen, über die gesellscha­ftliche Kommunikat­ionskultur, den Sprachgebr­auch insgesamt nachzudenk­en. Das ist öffentlich­e Aufgabe.

CHRISTIAN SWERTZ ist Professor für Medienpäda­gogik am Institut für Bildungswi­ssenschaft an der Uni Wien.

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