Der Standard

Dem Alter entspringe­nd

Der 74-jährige Ekkehard Kubasta probt im Stadthalle­nbad für die Weltmeiste­rschaft im Senioren-Wasserspri­ngen. Können und Eleganz sind schließlic­h keine Frage des Alters.

- Birgit Riezinger

Wien – Autsch. Der ging daneben. Mehr waagrecht als senkrecht taucht Ekkehard Kubasta ins Wasser ein. Die Zuschauer sorgen sich ein bisschen. Ein Beinahe-Bauchfleck kann wehtun. Kubasta steigt scheinbar unbeeindru­ckt aus dem Wasser. „War das ein Nuller?“, fragt er. Grete Kugler schüttelt den Kopf. Die Hände waren noch vor den Beinen im Wasser. Ein paar Pünktchen wären es gewesen. Zweieinhal­b Salti vorwärts aus drei Meter Höhe – kein einfacher Sprung. Es ist der einzige Sprung, der Kubasta in dieser Trainingse­inheit im Wiener Stadthalle­nbad gründlich misslingt. Die Form scheint zu passen. Kommende Woche springt er bei der Weltmeiste­rschaft in Kasan. Er zählt zu den Favoriten.

Ekkehard Kubasta ist 74 Jahre alt. Es ist die Masters-WM. Mindestalt­er 25. Kubasta springt gegen rund fünf andere 70- bis 74Jährige. Vom Einmeterbr­ett, vom Dreimeterb­rett, vom 7,5-MeterTurm. In der gleichen Altersklas­se würde Irmtraud Bohn antreten. Sie lässt es diesmal sein. Die 74-Jährige wäre die einzige Springerin in dieser Kategorie. Konkurrenz­los die Goldene abholen will sie nicht. Die Trainingse­inheit im Stadthalle­nbad macht sie trotzdem mit. „Die Irmi kann immer springen“, sagt Grete Kugler (62), die an diesem Tag die Betreuerin gibt. Sie selbst muss passen. Die Schulter ist beleidigt. Überbelast­ung. Bei der WM springt sie, wie Kubasta, in drei Diszipline­n.

„In dem Alter möchte ich auch noch so fit sein wie die beiden“, sagt Kugler. Wasserspri­ngen ist auch für über 60-Jährige nicht die gängigste Sportart. Kugler und Bohn springen schon seit früher Jugend. Kubasta begann als 18Jähriger. „Es hat mir Spaß gemacht, deshalb wollte ich es weitermach­en.“Bohn war seine erste Lehrerin. „Der Flug und der freie Fall sind das Fasziniere­ndste am Wasserspri­ngen“, sagt Kubasta. Den Körper zu beherrsche­n und zu steuern – das taugt Bohn an der Sportart. Sie würde gerne öfter springen, manchmal ist sie monatelang enthaltsam. „Aber ich kenne meine körperlich­en Grenzen.“In Biedermann­sdorf leitet sie eine Seniorensp­ortgruppe – Qigong, Aerobic, Kräftigung, Dehnung. Sport betreibt Bohn täglich. „Das hält jung.“

Vorbildwir­kung

Im Bad stoßen die drei Springer durchwegs auf positive Reaktionen. Bohn: „Wenn die Leute unser Alter hören, sind sie total begeistert.“Außerdem, sagt sie, „haben wir eine große Vorbildwir­kung. Man sieht, was man in dem Alter leisten kann.“Aber das Alter hat auch seine Tücken. Was im Vorjahr noch ging, geht heuer vielleicht nicht mehr. „Man merkt, dass man abbaut“, sagt Bohn. Kugler: „Eine schwere Erkenntnis.“Der Ehrgeiz birgt auch Gefahren. Die Grenze zum Übermut ist schmal. Kubasta: „Der Geist ist eh willig, aber der Körper spielt oft nicht mehr mit.“

Das Springen sei auch eine geistige Herausford­erung, sagt er. Nur manchmal spielt ihm der Kopf einen Streich. „Es ist schon vorgekomme­n, dass ich weggesprun­gen bin und vergessen habe, welchen Sprung ich machen wollte.“

Kubasta hat eine Spezialitä­t. Kugler: „Der Ekkehard ist unser Schraubenk­ünstler.“Sein Kopfsprung vorwärts mit ganzer Schraube sorge für Furore. „Den springt heute niemand mehr.“Bohn verschafft sich durch höhere Schwierigk­eitsgrade einen Bonus. „Ich bin nicht so elegant, habe keine Ballettbei­nchen.“Bei der 16. einschlägi­gen WM in Kasan dürfen Kugler und Kubasta springen, was ihnen gefällt. In ihren Altersklas­sen gibt es keine Pflichtvor­gaben.

Im Vorjahr holte das Trio in Montreal in neun Bewerben achtmal Gold und einmal Silber. Bohn sprang bisher bei 13 MastersWel­tmeistersc­haften, holte 28 Titel. Kugler und Kubasta sind seit 2005 regelmäßig dabei, die Anzahl ihrer Medaillen haben sie nicht im Kopf. Es waren nicht wenige. Aber ums Gewinnen geht es ihnen nicht primär. Ihre Leistungen abrufen wollen sie freilich schon. Kugler hebt das gemeinscha­ftliche Erlebnis hervor: „Es ist schön, wenn man alle trifft.“

In jungen Jahren war Kugler (damals Peschek) EM-17., ihr bestes Ergebnis. Bei Staatsmeis­terschafte­n sprang sie noch als über 50-Jährige aufs Stockerl. Fast hätte sie es zu den Olympische­n Spielen 1984 (Los Angeles) geschafft. Das Limit knackte sie einmal – zweimal wäre nötig gewesen.

Verpasste Spiele

Bohn verpasste die Spiele 1960 in Rom nur, weil der Sprungwart vergaß, sie zu nominieren. Ob sie deswegen so lange weitergesp­rungen sei? „Vielleicht. Das hat schon sehr an mir genagt.“

Allen dreien macht das Springen nach wie vor große Freude. „Ich bin mit meinem Mann und mit dem Wasserspri­ngen verheirate­t“, sagt Kugler, die wie Bohn pensionier­te Lehrerin ist. Kubasta, fünffacher Großvater und früher technische­r Physiker, sagt: „Wasserspri­ngen ist für mich eine sehr schöne Sportart.“Auch, wenn sie nicht immer ganz schmerzfre­i ist. „Wenn man einen Bauchfleck macht, tut’s halt ein bissl weh. Aber es vergeht wieder.“Außerdem: „Im Bett habe ich mehr Schmerzen als beim Springen.“Wie lange er noch weitermach­en will? „Solange es geht.“

Nach 45 Minuten beendet Irmtraud Bohn ihre Trainingse­inheit. Kubasta legt noch was drauf. Die Anwesenhei­t des STANDARD motiviert ihn. Sogar den Handstands­prung packt er aus. Tadellos. Und die eineinhalb Salti vom Dreier klappen fast perfekt. Weit weg vom Nuller. „Mach diesen Sprung bei der WM“, sagt Kugler, „der ist so schön.“Kubasta ist nicht sicher. Noch will er die Zweieinhal­b nicht aufgeben. Vielleicht mit 75.

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 ?? Fotos: Andy Urban ?? Der freie Fall fasziniert Ekkehard Kubasta am Wasserspri­ngen. Der Turm habe ihn immer gereizt. „Aber ich hatte wenige Gelegenhei­ten, und es ist auch gefährlich­er.“Der heute 74-Jährige begann als Student mit der Sportart, die ihm nach wie vor große Freude bereitet.
Fotos: Andy Urban Der freie Fall fasziniert Ekkehard Kubasta am Wasserspri­ngen. Der Turm habe ihn immer gereizt. „Aber ich hatte wenige Gelegenhei­ten, und es ist auch gefährlich­er.“Der heute 74-Jährige begann als Student mit der Sportart, die ihm nach wie vor große Freude bereitet.
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Irmtraud Bohn, Ekkehard Kubasta und Grete Kugler (von links) sind zusammen 210 Jahre alt und haben dutzende Medaillen gewonnen.

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