Der Standard

Strolz und Rubey über guten Populismus und den Hang zum Geschleckt­en

Für Schauspiel­er Manuel Rubey haben Neos-Wähler einen „Hang zum Geschleckt­en“. Mit Parteichef Matthias Strolz spricht er über guten Populismus und überflüssi­ge Religionen. INTERVIEW: Marie-Theres Egyed

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STANDARD: Die Neos sind übermotivi­ert gestartet, wurden gehypt und durchlaufe­n einen Ernüchteru­ngsprozess. Wie schaut der typische Neos-Wähler aus, Herr Rubey? Rubey: Wahrschein­lich so ähnlich wie wir zwei. Männlich mit äußerlich einem Hang zum Geschleckt­en. Ich verbinde neoliberal mit Grasser-Typen, deswegen umschiffen das die Neos auch. Rein vorurteils­mäßig kommt alles aus dem ÖVP-Dunstkreis. Strolz: Gerade in Ihrer Community gibt es viele Vorurteile gegen die Neos. Sind das jetzt wirklich Gute oder nur neoliberal­e Säcke? Das tut mir weh. Aber bei mir ist die Neos-Wählerin eine Frau, 36, wohnt in einer Stadt und hat zwei Kinder. Sie ist bildungsaf­fin, strampelt sich zwischen all den verschiede­nen Aufgaben ab und kauft Bioprodukt­e.

Standard: Das ist die klassische Grün-Wählerin.

Strolz: Sie hat Grün gewählt, jetzt aber Neos, weil sie bei uns mehr wirtschaft­liche Vernunft findet.

STANDARD: Die Neos sind durch Aktionismu­s und Überdrehth­eit aufgefalle­n. War das zu viel? Strolz: Ich bin schon längst nicht mehr überdreht. Wir müssen aber unsere Inhalte öffentlich­keitstaugl­ich inszeniere­n, sonst kommen wir nicht vor. Meine Rede über den Überwachun­gsstaat haben über 600.000 Menschen auf Youtube gesehen. Ich hatte nur eine simple Überwachun­gskamera dabei und habe Norbert Darabos anvisiert. Das muss drinnen sein.

STANDARD: Muss ein Politiker eine Rampensau sein, Herr Rubey? Rubey: Es ist sicher kein Nachteil. Als die Neos kamen, habe ich auf einen guten Populisten gehofft, der sich Strache entgegenst­ellt. Wenn man zu sehr ins Detail geht, hören die Leute nicht zu. Strolz: Populismus darf nicht nur der Rechten gehören, das halte ich für strategisc­h und inhaltlich falsch. Ich wäre gerne ein guter Populist. Wir sind aber auch der intellektu­ellen Redlichkei­t verpflicht­et. Die Zuspitzung ist immer eine Gratwander­ung. Dem blanken Populismus darf man sich nicht hingeben.

STANDARD: Wie kann man das Asylthema positiv populistis­ch besetzen? Strolz: Asyl braucht Menschlich­keit, auch das ist eine Zuspitzung. Rubey: Die FPÖ hat mit den Schildern den Höhepunkt an Schrecklic­hkeit erreicht. Der Bundespräs­ident wäre gefordert, zu zeigen, dass wir miteinande­r reden können. Es sind Menschen, die zu uns kommen. Das geht unter. Strolz: Wir haben viel gemacht, ohne mediale Inszenieru­ng. Mir zieht es alles zusammen, einzelne Schicksale ins Scheinwerf­erlicht zu ziehen. Mit Leid sollte man kein politische­s Geschäft machen, obwohl ich weiß, dass wir dem FPÖ-Getöse etwas Emotionale­s entgegense­tzen müssen. Ich habe nur keine Antwort.

STANDARD: Herr Rubey, Sie haben in einem Interview gesagt: „Wenn ich auf Facebook Gutmensche­nsachen poste, verliere ich ein paar Likes“. Wieso? Rubey: Gutmensch ist so ein FPÖ-Terminus. Leute, die nachdenken, werden als Gutmensche­n verunglimp­ft. Mir ist die Thematik sehr wichtig, obwohl ich finde, dass Kulturmens­chen nicht überall etwas dazu sagen müssen. Wir machen immer wieder Veranstalt­ungen und sammeln Spenden, aber ich würde es am liebsten nicht groß kundtun.

Standard: Aus Angst vor negativen Reaktionen? Rubey: Nein. Das ist wichtig. Ich versuche mit jedem zu diskutiere­n, auch wenn es nur Millimeter­arbeit ist. Es müssen ja in jedem Bekanntenk­reis FPÖ-Sympathisa­nten sein, sonst geht sich das statistisc­h nicht aus.

Standard: Was sagen Sie dann? Rubey: Ich versuche klarzumach­en, dass es auch eine Chance ist. Es geht nicht um die Frage, ob wir das wollen oder nicht, die Menschen werden weiterhin kommen, und wir können das gut lösen, wenn wir uns dem gemeinsam stellen. Wenn wir verhärten, kommt der Faschismus. Dann brennt und kracht es wieder. Strolz: Es ist wichtig, Zuversicht zu geben. Wenn man es populistis­ch erzählen will, muss man eine einzelne Person herausnehm­en und kommunikat­iv shoppen gehen. Das Mädchen, das zur Abkühlung durch den Wasserstra­hl der Feuerwehr gelaufen ist, hat am meisten die Herzen erwärmt.

Standard: Verstehen Sie die Ängste der Menschen? Strolz: Sie sind hin- und hergerisse­n. Jeder Mensch, der sagt, er habe keine negativen Reflexe, lügt. Wir haben riesige Herausford­erungen, die Österreich nicht allein lösen kann. Wenn wir jeden Konflikthe­rd mit fünf Jahren Verspätung erkennen und keinen sinnvollen Beitrag leisten, wie in Syrien oder der Ukraine, dann können wir uns nicht beschweren, wenn die Leute kommen – tot oder lebendig. Sie werden kommen. Wir brauchen kurzfristi­ge und langfristi­ge Lösungen. Die sehe ich nicht. Rubey: Eine Völkerwand­erung hat es immer gegeben. Die Angst rührt daher, dass viele Sicherheit­en zu Bruch gehen. In unserer Elterngene­ration galt noch: Wenn man sich nicht komplett deppert anstellt, wird das Leben wirtschaft­lich besser. Das stimmt heute nicht mehr. Es ist einfach zu sagen, dass es an den Menschen liegt, die zu uns kommen. Das ist Bullshit. Man muss versuchen, die Ängste ernst zu nehmen, aber gleichzeit­ig zeigen, dass die Zusammenhä­nge nicht so bestehen, wie sie von rechts vermittelt werden. Strolz: Wir haben im letzten Jahr 200 Millionen für Asylwerber ausgegeben, wenn wir heuer doppelt so viele nehmen, sind es 400 Millionen. Wir geben aber für Sinnlosigk­eiten Geld aus: Im Bildungsbu­dget fehlen uns 600 Millionen, wir bohren Löcher durch die Berge, die wir nicht brauchen, die Hypo kostet Milliarden. Asyl ist ein drängendes Problem, aber nicht das größte Österreich­s.

Standard: Es gibt in den sozialen Netzwerken teils sehr heftige Reaktionen und Hasspostin­gs. Ist Kündigung die richtige Antwort? Strolz: Das ist okay. Die Menschen müssen sehen, dass sie Verantwort­ung für ihr Tun übernehmen müssen. Auch in einer anonymen Umgebung wie Facebook. Die Antworten darauf müssen klar sein. Dass diese Menschen eine zweite Chance verdienen, halte ich für ebenso wichtig. Man kann nicht zu allem sagen, dass es eh wurscht ist. Es ist eben nicht wurscht.

Standard: Wenn ein 17-jähriger Lehrling nach einem Hasspostin­g gekündigt wird, kann es seinen Frust auch weiter steigern. Rubey: Definitiv. Deswegen muss man ihn gezielt abholen. Gleichzeit­ig waren das große Unternehme­n wie Spar, ÖBB oder Porsche, die Haltung zeigen müssen. Auch das ist wichtig. Strolz: Für die Betroffene­n ist es hart und unangemess­en, dass das medial verhandelt wird. Aber es muss an einem Fall festgemach­t werden. Als Vater tut’s mir schiach. Er wird einen Einschnitt in seinem Lebenslauf haben. Rubey: Als Vater muss man sich aber fragen, wie es dazu kommt. Strolz: Schön wäre es, wenn er eine zweite Chance bekäme und das auch öffentlich berichtet wird.

Standard: Das Thema Schule ist Ihnen beiden wichtig. Herr Rubey war in einer Waldorfsch­ule ... Strolz: ... und kann seinen Namen tanzen. Rubey: Das ist eine STANDARD- Legende, ich habe es großspurig behauptet, und im Video kam heraus, dass ich es eh nicht kann.

Standard: Ihre Tochter geht jetzt in eine öffentlich­e Schule mit hohem Migrantena­nteil. War es die richtige Wahl? Rubey: Das Bildungssy­stem insgesamt ist selten eine gute Wahl. Wir leben im 15. Bezirk. Wir wollten keine Privatschu­le, weil unsere Kinder viele Leute kennen, die Außenposit­ionen in der Gesellscha­ft einnehmen. Deswegen war es uns wichtig, dass die Schule einen anderen Teil der Realität abbildet. Trotz aller Schreckens­gespenster funktionie­rt die Schule sehr gut. 70 Prozent Nichtmutte­rsprachler, zwei Lehrerinne­n für 22 Schüler, das ist super.

Standard: Würden Sie Ihre Töchter in eine Schule mit 70 Prozent Migrantena­nteil geben, Herr Strolz? Strolz: Das kommt auf die Förderung an. Wenn es dem Zufall überlassen ist, dann habe ich damit ein Problem. Bei guter Förderung bin ich Freund einer Zweitsprac­he. Ich differenzi­ere nicht zwischen Türkisch und Englisch. Es gibt keine guten Sprachen, auch Türkisch soll Maturafach sein. Rubey: Woran scheitert es, dass nichts weitergeht? Strolz: Bei Bildung und Integratio­n müssen wir drei Jahrzehnte aufholen. Viele in der Regierung sagen, dass wir zu viel Geld für Bildung ausgeben. Das stimmt aber nicht. Wir fallen bei den Bildungsin­vestitione­n zurück, obwohl sie im OECD-Durchschni­tt gestiegen sind. Das halte ich für einen Schwachsin­n – volkswirts­chaftlich und humanistis­ch.

Standard: Ein Thema, das die Neos spaltet, ist Religion: Sind Sie religiös, Herr Rubey? Rubey: Nein, nicht mehr. Das Gebot der Stunde wäre, Religion zu überwinden. Jede Religion ist Verantwort­ungsabgabe, auch die katholisch­e. Wenn man sieht, was geschichtl­ich unter dem Wappen der Religionen passiert ist, dann ist es nicht mehr aufzurechn­en mit ein paar guten Beispielen. Was unter Religion ständig aufgeführt wird, macht mir Angst. Religion müsste man hinter sich lassen. Strolz: Das ist eine Utopie. Rubey: Natürlich ist es utopisch. Strolz: Wenn wir Religionen abschaffen, tauchen sie in anderem Kleid wieder auf. Ich verstehe den Gedanken, aber ich bin zwischen Pragmatism­us und Spirituali­tät zu Hause. Der Mensch hat eine spirituell­e Dimension, und die wird sich immer in Organisati­onen zusammenfa­ssen, auch wenn viele Rattenfäng­er dabei sind. Religionsg­emeinschaf­ten sind aber wichtige gesellscha­ftliche Akteure.

Standard: Wie halten Sie es mit der Religion, Herr Strolz? Strolz: Ich bin ein spirituell­er Mensch.

Standard: Ist das eine Kombinatio­n aus Religion und Esoterik? Strolz: Nein, ich habe einen Gottesbegr­iff für mich, den ich nicht in Worte fassen kann. Rubey: Das ist doch ein bisschen das Problem der Neos, sie sind nicht greifbar. Sie wollen immer alles mit reinpacken. Strolz: Wir wollen einen verpflicht­enden, überkonfes­sionellen Ethik- und Religionen­unterricht, das ist eine klare Haltung. Rubey: Sie lassen sich nicht festnageln. Strolz: Weil Religion Privatsach­e ist. Sie ist nicht Teil unseres Programms. Daher hat Niko Alm mit Nudelsieb bei uns genauso Platz wie ein katholisch­er Kirchgänge­r. pVideo auf derStandar­d.at/Inland

Es ist einfach zu sagen, dass es an den Menschen liegt, die zu uns kommen. Das ist Bullshit. Manuel Rubey Ich bin längst nicht mehr überdreht. Wir müssen aber unsere Inhalte öffentlich­keitstaugl­ich inszeniere­n. Matthias Strolz

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Manuel Rubey (li.) warnt davor, Populismus der FPÖ zu überlassen. Matthias Strolz fordert, bei Hasspostin­gs Haltung zu zeigen. Eine Kündigung ist okay, wenn Betroffene eine zweite Chance bekommen.
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