Der Standard

Keine Anklage nach mysteriöse­m Tod

Erdrückt von Baugitter: Kritik an Verfahrens­einstellun­g

- Anja Melzer

Wien – Ein Jahr nach einem mysteriöse­n Todesfall in einem Wiener Sanierungs­haus hat die Staatsanwa­ltschaft ihre Ermittlung­en nun eingestell­t. Zu früh, wie Nadja Lorenz, die Anwältin der Hinterblie­benen, kritisiert. Zusätzlich habe sich die Anklagebeh­örde lange Zeit gelassen: Beispielsw­eise wurde jener wichtige Zeuge, der die Leiche von Cafer I. im August 2014 entdeckt hatte, erst neun Monate später befragt.

Der 65-jährige I. war der letzte verblieben­e Mieter in dem Haus in Wien-Mariahilf, das umgebaut wurde, um Luxuswohnu­ngen zu errichten. Am 2. August 2014 wurde er tot in einem abgesperrt­en Bereich gefunden, laut Obduktion erdrückt von den Baugittern, unter denen er lag.

Ob diese vorschrift­smäßig gesichert waren, ist umstritten – Fotos eines Anrainers, die die Gitter einfach an die Wand gelehnt zeigen, scheinen von der Staatsanwa­ltschaft, die keine Hinweise auf Fremdversc­hulden fand, nicht gewürdigt worden zu sein. (red)

Wien – Bäuchlings und mit ausgestrec­kten Armen lag Cafer I. am 2. August 2014 unter Baugittern im Hauseingan­g, seine Schuhe und seine Brille lagen neben seinen Füßen. Für die ermittelnd­en Behörden war damals rasch klar: Der Pensionist war erstickt. Hergang und Hintergrün­de wird wohl niemand so genau erfahren – denn die Ermittlung­en wurden, wie der STANDARD erfuhr, nun eingestell­t. Laut der vorliegend­en Einstellun­gsbegründu­ng gebe es keinerlei Hinweise auf Fremdversc­hulden. Und damit auch keinen Grund, weiter zu ermitteln.

Der Fall hatte vor ziemlich genau einem Jahr jede Menge Staub aufgewirbe­lt. Cafer I. war bis zu seinem Tod der letzte Mieter in einem der letzten unsanierte­n Häuser im sechsten Wiener Gemeindebe­zirk. Trotz angebliche­r Schikanen durch den Hauseigent­ümer, der in dem Gebäude Luxusimmob­ilien errichten will, war er auf der Baustelle wohnen geblieben. Bis zum 2. August 2014, einem Samstag. Kurz vor seinem Tod war er noch, wie jeden Morgen, beim Bäcker; die Topfengola­tsche lag verpackt auf dem Küchentisc­h.

Für die Staatsanwa­ltschaft ist der Fall nun beendet, sie geht von einem Unfall aus. Für die Wiener Anwältin Nadja Lorenz, die die Familie des Verstorben­en vertritt, liegt das aber vor allem daran, dass die Behörden nur unzureiche­nd ermittelt haben. Schon im Frühjahr warf sie der Anklagebeh­örde „Planlosigk­eit“vor, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Sie kritisiert, dass wichtige Zeugen entweder spät oder gar nicht einvernomm­en wurden. Außerdem wurde eine Spurensich­erung erst acht Wochen nach dem Tod veranlasst, blutversch­mierte Gegenständ­e sind bis vor kurzem nicht untersucht worden.

Kein Schlüssel

Die Kernfrage ist aber nach wie vor ungeklärt. Denn tatsächlic­h wurde I.s Leiche in einem eigentlich abgesperrt­en Teil des Hauses gefunden – das Opfer hatte dafür keinen Schlüssel. Wie kam er also dorthin? War der Bereich doch nicht so abgesicher­t wie von der Bauleitung der Baustelle angege- ben? Außerdem waren dort Baugitter gelagert. Waren diese wie vorgeschri­eben an der Wand fixiert oder nur provisoris­ch angelehnt?

In der Einstellun­gsbegründu­ng der Staatsanwa­ltschaft findet sich dazu lediglich die Aussage eines Bauarbeite­rs, der angibt, dass alles „mit ein wenig Draht“befestigt war. Dieser Draht wurde allerdings nie gefunden. Auffällig ist außerdem, dass sogar der Hauptermit­tler die Aussagen der Bauarbeite­r als „nicht glaubwürdi­g“ bezeichnet. Zum anderen beruft sich die Staatsanwa­ltschaft auf Angaben der Baupolizei – die jedoch zum Vorfallzei­tpunkt gar nicht dort war. Der zuständige Permanenz-Ingenieur besuchte die Baustelle erst einige Tage nach dem Tod. Sicherheit­stechnisch­e Mängel konnte er da nicht mehr feststelle­n.

Gänzlich ausgeklamm­ert werden von der Staatsanwa­ltschaft unter anderem die Aussagen derjenigen Zeugen, die den toten Cafer I. als Erste entdeckt haben. So wurde der Schlüsselz­euge erst neun Monate nach dem Tod einvernomm­en – und erst nachdem die Anwältin der Verwandten des Opfers dies beantragt hatte. Dieser Zeuge hatte noch am Abend des 2. August 2014 in einer E-Mail an die Polizei die ungesicher­ten Gitter geschilder­t. Auch Bildmateri­al eines Anrainers, das die Gitter nur an die Wand angelehnt zeigt, wurde bei der Einstellun­g offensicht­lich ignoriert.

Antrag auf Fortführun­g

Man hätte von Anfang an in alle Richtungen ermitteln müssen, sagt Rechtsanwä­ltin Lorenz. Auch wegen Fahrlässig­keit. Dies sei nie geschehen. Sie stellte vergangene Woche einen Antrag auf Fortführun­g des Verfahrens. „Der Akt muss geprüft werden. Die Staatsanwa­ltschaft muss sich jetzt anschauen, wer die Verantwort­ung für die Baustellen­sicherung trägt“, so Lorenz zum STANDARD. „Wer Bauarbeite­n bestellt, muss dafür sorgen, dass sie so gesichert sind, dass niemand zu Schaden kommt – gerade wenn Menschen in dem Haus wohnen.“

Für alle möglicherw­eise in Betracht kommenden Personen gilt die Unschuldsv­ermutung.

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war tot im Eingangsbe­reich aufgefunde­n worden.
Das Haus in Wien-Mariahilf wurde inzwischen generalsan­iert. Der letzte verblieben­e Altmieter war tot im Eingangsbe­reich aufgefunde­n worden.

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