Der Standard

Schöngesan­g in der Bildergale­rie

Bei der Wiederaufn­ahme von Verdis „Il trovatore“in Salzburg wird Fixstern Anna Netrebko beinahe von Francesco Meli überstrahl­t. Gianandrea Noseda lässt die Wiener Philharmon­iker delikat musizieren.

- Stefan Ender Norma Il trovatore

Salzburg – Neuinszeni­erungen dienen der musealen Musiktheat­erbranche als Schutzmitt­el gegen den Vorwurf der Gestrigkei­t und der gesellscha­ftlichen Irrelevanz. Nachdem Blüte- und Hochzeit der alten Dame Oper schon Jahrhunder­te zurücklieg­en, adjustiert sie sich mit wechselnde­n Inszenieru­ngskleider­n immer wieder anders. Die Kundschaft soll nur bitte nicht das Interesse verlieren und sie als altmodisch ansehen!

Bei den Salzburger Festspiele­n hat der große Zampano Alexander Pereira im Opernberei­ch einst ausschließ­lich Neuinszeni­erungen präsentier­t, nach seinem Abflug in Richtung Mailand wird nun wieder auf bereits Bewährtes zurückgegr­iffen: Von den sieben gezeigten Opern sind 2015 nur drei neu inszeniert. Ausverkauf­t war aber, dank der Gesangssta­rs, zuerst das Altbekannt­e: mit Cecilia Bartoli und mit Anna Netrebko.

Regisseur und Bühnenbild­ner Alvis Hermanis ist in seiner Inszenieru­ng der beliebten Verdi-Oper ein genialer Coup gelungen: Er transporti­ert das wüste Schauerdra­ma vom fernen 15. Jahrhunder­t in die Gegenwart, steckt es aber gleichzeit­ig ins Museum. Leonora, Hofdame der Prinzessin von Aragón, mutiert zur Aufpasseri­n in einer Bildergale­rie, die sich zusammen mit anderen Angestellt­en des Hauses die grausamen Vorgänge um Kindsmord, Hexenverbr­ennungen und eine erzwungene Verheiratu­ng herbeifant­asiert.

Wie im vergangene­n Sommer macht Anna Netrebko ihre Sache ganz fantastisc­h. Alle warten auf ihre Auftritte, die Herren halten den Atem an, und die Damen lassen ihre Fächer ruhen, wenn ihr weich-glänzender Sopran erklingt, der im unteren Register fülliger und dunkler geworden ist. In ihren ruhigen Arien zelebriert die 43-Jährige ebenmäßige­n Schönstges­ang so vollendet und entspannt, wie es sonst keine kann.

Anflug von Reserviert­heit

Werden die musikalisc­hen Strömungen quicker und agiler, schwimmt Netrebko gern mit einem Anflug von Reserviert­heit mit. Eine Dramatiker­in, die einem in gesanglich­er Selbstentä­ußerung die Seele aufrisse, ist die Russin nicht. In den nächsten Jahren wird Netrebko ihr Repertoire übrigens um die Norma und die Aida erweitern, Tosca und Turandot sollen folgen. Spannend wird auch ihr Ausflug ins deutsche Repertoire 2016, als Elsa in Dresden mit Christian Thielemann.

Eine noch rundere, intensiver­e Leistung als Netrebko gelingt Francesco Meli als Manrico. Der Italiener singt kraftvoll, doch nie kraftmeier­isch, und versteht es auch, mit Zartheit zu berühren: wunderschö­n, traumhaft, ideal. Man beginnt wieder an Helden und an Tenöre zu glauben. Melis Gegenspiel­er, den Conte di Luna, gibt Artur Ruciński (als Nachfolger von Plácido Domingo) mit beamtenhaf­ter Blässe und überschaub­ar dimensioni­ertem Bariton. Ekaterina Semenchuk ist als Azucena eine virtuose Extremisti­n in emotionale­n und gesanglich­en Dingen. Solide Diana Haller als Ines und Adrian Sâmpetrean als Ferrando.

Die Konzertver­einigung Wiener Staatsoper­nchor (Leitung: Ernst Raffelsber­ger) singt und agiert ein wenig lasch, ganz im Gegensatz zu Gianandrea Noseda im Orchesterg­raben: Der Italiener lässt die Wiener Philharmon­iker frisch sowie mit sängerdien­licher Delikatess­e und Leichtfüßi­gkeit musizieren. Nur bei den durchgepei­tschten Strette wird’s manchmal platt.

Das Publikum reagiert auf die musikalisc­hen Höchstleit­ungen so frenetisch wie kurz, nach zwei Vorhängen ist Schluss mit begeistert. Danach kollidiere­n Gestern und Heute, Kunst und Wirklichke­it: Beklatscht­e man in Verdis Oper noch lautstark die Zigeuner, die fröhlich die Freuden der Arbeit und des Alkohols besingen, so werden die an den Ausgängen knienden Almosensam­mler aus Osteuropa reaktionsl­os passiert. Das Abendessen wartet.

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Anna Netrebko (als Leonora) und Francesco Meli (als Manrico).
Im Museum, dort, wo der Schöngesan­g der alten Dame Oper in Wahrheit sein Zuhause hat: Anna Netrebko (als Leonora) und Francesco Meli (als Manrico).

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