Nicht alle Besorgten in ein rechtes Eck schieben
Begreifen wir noch die Probleme? Wir arbeiten in der Asylfrage mit Schuldzuweisungen, wir reden weder ernsthaft über Hartz IV noch über Arbeitsbeschaffungsprojekte. Plädoyer für eine rationalere Diskussionskultur.
Meinem Land, vor allem seiner Politik, empfehle ich dringend mehr Wirklichkeitssinn! Es schmerzt mich, feststellen zu müssen, dass wir uns offensichtlich an den wesentlichen Problemen vorbeihanteln, sie ignorieren oder keinen „Reality-Check“vornehmen. Und wenn wir dann dazu gezwungen sind – siehe Flüchtlingsfrage –, setzen wir Ersatzhandlungen, die Lösungen eigentlich verfehlen.
Die Asylwerber-, Migrantenund Flüchtlingsfrage ist allerdings ein sehr akutes Beispiel für diesen Zustand der Politik.
Es macht keinen Sinn, alle Besorgten auf diesem Gebiet in ein rechtes Eck zu schieben!
Problem selbst lösen
Damit löst man kein Problem, sondern erhöht die Spannungen, die darauf hinauslaufen, dass jeder recht haben will, was keinem Asylwerber einen Platz verschafft und kein menschenwürdiges Leben sichert. Könnten wir nicht eher die Bedingungen für Standorte erörtern? Wie ich höre, gibt es Einwände der Behörden, dass etwa manche Gebäude aus Gründen des Denkmalschutzes oder der Erfüllung der Bedingungen ausgeschlossen werden.
Hier kritisiere ich auch meine Mutter Kirche, die eigentlich traditionell auf dem Asylsektor eine moralische Verpflichtung hat, waren doch die Kirchen früher Zufluchtspunkte für schutzsuchende Menschen. Die Caritas wie auch die Diakonie tun das auf imponierende Weise. Allen Engagierten wäre aber zu sagen, dass sie zunächst ihre eigenen Möglichkeiten ausschöpfen sollten, um das Problem zu lindern. Ich mache die Erfahrung, dass es eben sehr viele Menschen gibt, die bereit sind, etwas zu tun, dass aber offensichtlich die Art und Weise, das zu nutzen, noch nicht sehr entwickelt ist.
Vielleicht wäre es hilfreich, nicht wieder jeweils irgendwelche Gruppen in irgendwelche Ecken zu schieben, sondern eine Anstrengung zu unternehmen, dieses Problem selbst zu lösen. Der Verweis auf die EU, die UN und was es sonst noch gibt, wird nicht weiterführen. Sicher ist aber, dass man die Politik dabei nicht alleinlassen kann, weil sie ohnehin begrenzte Fähigkeiten hat, das zu lösen, und ständig der Versuchung ausgesetzt ist, das in irgendeiner Weise für irgendetwas zu nützen, etwa auf die jeweiligen Verantwortlichkeiten (Bund – Länder – Gemeinden) hinzuweisen. Die öffentlichen Auftritte der jeweiligen Repräsentanten sind beschämend. Jeder weiß, warum es bei ihm nicht geht, wobei wahrscheinlich immer noch politische Rücksichten und nächste Wahlen dominant sind. Wenn wir so weitertun, werden wir von einer Völkerwanderung heimgesucht, weil es sich hier um einen Existenzkampf handelt. Die moralische Komponente, das Mittelmeer zu einem Massengrab zu machen, muss auf uns allen schwer lasten, denn was hier geschieht, hat bereits Weltkriegsdimensionen.
Das andere Thema ist die HartzIV-Diskussion, die Minister Schelling angestoßen hat. Zunächst muss man einmal sagen, dass in Deutschland mit Hartz IV beachtliche Probleme gelöst wurden und die Ergebnisse bemerkenswert sind. Zum anderen mache ich die Erfahrung, dass mir viele Unternehmen und Menschen, die willig sind, Arbeitslose anzustellen, erzählen, dass diese Angebote zurückgewiesen werden, weil man mit der Grundsicherung und der Arbeitslosenunterstützung ohnehin besser dran sei, weil man daneben irgendwo schwarz oder sonst wie noch etwas verdienen kann.
Arbeitslos ist „besser“
Man muss bestimmte Berufsgruppen untersuchen (FriseurInnen, Handelsangestellte etc.), die erschreckend niedrige Gehälter haben, mit denen sie auch auskommen müssen. Auch das erzeugt ein gewisses Konfliktpotenzial, wo sich die, die relativ wenig verdienen, sagen müssen, dass es eigentlich besser wäre, arbeitslos zu sein. Natürlich ist ein allgemeiner Leisten nicht dienlich, das Problem zu lösen. Aber etwas rationaler sollte es diskutiert werden, weil die Anspannung des Staatshaushaltes eben auch sehr groß ist.
Etwas abfällig wurde im ORF das Jubiläum der Großglocknerstraße kommentiert, als ein Prestigeprojekt der „Austrofaschisten“. In Wirklichkeit war es Ar-beitsbeschaffung, worüber man heute auch dringend diskutieren sollte. Wie wäre es etwa mit einem Schulbauprogramm, um die so oft verlangten Ganztagsschulen zu ermöglichen? Wie wäre es, die Wohnbauförderungsmittel auch für den Wohnbau vorzusehen oder spezielle Gebiete, wie Senioren- und Pensionistenheime, mit Vorrang vorzuziehen? Auf jeden Fall aber würde ich mir eine rationalere Diskussion des Problems wünschen, denn es ist eines, gar nicht zu reden von der Frage, ob wir die richtige Ausbildung auch für die richtigen Jobs haben.
Eine Bemerkung darf gemacht werden: Wann endlich geht der Staat die Frage der relativ teuren österreichischen Verwaltung, der ungeheuren Ausgaben zur Parteienfinanzierung und Regierungs-werbung und anderer Luxuseinrichtungen unseres öffentlichen Lebens an?
ERHARD BUSEK, Ex-ÖVP-Vizekanzler, ist unter anderem Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa.