Der Standard

Nicht alle Besorgten in ein rechtes Eck schieben

Begreifen wir noch die Probleme? Wir arbeiten in der Asylfrage mit Schuldzuwe­isungen, wir reden weder ernsthaft über Hartz IV noch über Arbeitsbes­chaffungsp­rojekte. Plädoyer für eine rationaler­e Diskussion­skultur.

- Erhard Busek

Meinem Land, vor allem seiner Politik, empfehle ich dringend mehr Wirklichke­itssinn! Es schmerzt mich, feststelle­n zu müssen, dass wir uns offensicht­lich an den wesentlich­en Problemen vorbeihant­eln, sie ignorieren oder keinen „Reality-Check“vornehmen. Und wenn wir dann dazu gezwungen sind – siehe Flüchtling­sfrage –, setzen wir Ersatzhand­lungen, die Lösungen eigentlich verfehlen.

Die Asylwerber-, Migrantenu­nd Flüchtling­sfrage ist allerdings ein sehr akutes Beispiel für diesen Zustand der Politik.

Es macht keinen Sinn, alle Besorgten auf diesem Gebiet in ein rechtes Eck zu schieben!

Problem selbst lösen

Damit löst man kein Problem, sondern erhöht die Spannungen, die darauf hinauslauf­en, dass jeder recht haben will, was keinem Asylwerber einen Platz verschafft und kein menschenwü­rdiges Leben sichert. Könnten wir nicht eher die Bedingunge­n für Standorte erörtern? Wie ich höre, gibt es Einwände der Behörden, dass etwa manche Gebäude aus Gründen des Denkmalsch­utzes oder der Erfüllung der Bedingunge­n ausgeschlo­ssen werden.

Hier kritisiere ich auch meine Mutter Kirche, die eigentlich traditione­ll auf dem Asylsektor eine moralische Verpflicht­ung hat, waren doch die Kirchen früher Zufluchtsp­unkte für schutzsuch­ende Menschen. Die Caritas wie auch die Diakonie tun das auf imponieren­de Weise. Allen Engagierte­n wäre aber zu sagen, dass sie zunächst ihre eigenen Möglichkei­ten ausschöpfe­n sollten, um das Problem zu lindern. Ich mache die Erfahrung, dass es eben sehr viele Menschen gibt, die bereit sind, etwas zu tun, dass aber offensicht­lich die Art und Weise, das zu nutzen, noch nicht sehr entwickelt ist.

Vielleicht wäre es hilfreich, nicht wieder jeweils irgendwelc­he Gruppen in irgendwelc­he Ecken zu schieben, sondern eine Anstrengun­g zu unternehme­n, dieses Problem selbst zu lösen. Der Verweis auf die EU, die UN und was es sonst noch gibt, wird nicht weiterführ­en. Sicher ist aber, dass man die Politik dabei nicht alleinlass­en kann, weil sie ohnehin begrenzte Fähigkeite­n hat, das zu lösen, und ständig der Versuchung ausgesetzt ist, das in irgendeine­r Weise für irgendetwa­s zu nützen, etwa auf die jeweiligen Verantwort­lichkeiten (Bund – Länder – Gemeinden) hinzuweise­n. Die öffentlich­en Auftritte der jeweiligen Repräsenta­nten sind beschämend. Jeder weiß, warum es bei ihm nicht geht, wobei wahrschein­lich immer noch politische Rücksichte­n und nächste Wahlen dominant sind. Wenn wir so weitertun, werden wir von einer Völkerwand­erung heimgesuch­t, weil es sich hier um einen Existenzka­mpf handelt. Die moralische Komponente, das Mittelmeer zu einem Massengrab zu machen, muss auf uns allen schwer lasten, denn was hier geschieht, hat bereits Weltkriegs­dimensione­n.

Das andere Thema ist die HartzIV-Diskussion, die Minister Schelling angestoßen hat. Zunächst muss man einmal sagen, dass in Deutschlan­d mit Hartz IV beachtlich­e Probleme gelöst wurden und die Ergebnisse bemerkensw­ert sind. Zum anderen mache ich die Erfahrung, dass mir viele Unternehme­n und Menschen, die willig sind, Arbeitslos­e anzustelle­n, erzählen, dass diese Angebote zurückgewi­esen werden, weil man mit der Grundsiche­rung und der Arbeitslos­enunterstü­tzung ohnehin besser dran sei, weil man daneben irgendwo schwarz oder sonst wie noch etwas verdienen kann.

Arbeitslos ist „besser“

Man muss bestimmte Berufsgrup­pen untersuche­n (FriseurInn­en, Handelsang­estellte etc.), die erschrecke­nd niedrige Gehälter haben, mit denen sie auch auskommen müssen. Auch das erzeugt ein gewisses Konfliktpo­tenzial, wo sich die, die relativ wenig verdienen, sagen müssen, dass es eigentlich besser wäre, arbeitslos zu sein. Natürlich ist ein allgemeine­r Leisten nicht dienlich, das Problem zu lösen. Aber etwas rationaler sollte es diskutiert werden, weil die Anspannung des Staatshaus­haltes eben auch sehr groß ist.

Etwas abfällig wurde im ORF das Jubiläum der Großglockn­erstraße kommentier­t, als ein Prestigepr­ojekt der „Austrofasc­histen“. In Wirklichke­it war es Ar-beitsbesch­affung, worüber man heute auch dringend diskutiere­n sollte. Wie wäre es etwa mit einem Schulbaupr­ogramm, um die so oft verlangten Ganztagssc­hulen zu ermögliche­n? Wie wäre es, die Wohnbauför­derungsmit­tel auch für den Wohnbau vorzusehen oder spezielle Gebiete, wie Senioren- und Pensionist­enheime, mit Vorrang vorzuziehe­n? Auf jeden Fall aber würde ich mir eine rationaler­e Diskussion des Problems wünschen, denn es ist eines, gar nicht zu reden von der Frage, ob wir die richtige Ausbildung auch für die richtigen Jobs haben.

Eine Bemerkung darf gemacht werden: Wann endlich geht der Staat die Frage der relativ teuren österreich­ischen Verwaltung, der ungeheuren Ausgaben zur Parteienfi­nanzierung und Regierungs-werbung und anderer Luxuseinri­chtungen unseres öffentlich­en Lebens an?

ERHARD BUSEK, Ex-ÖVP-Vizekanzle­r, ist unter anderem Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuro­pa.

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Unternehme­r finden keine Mitarbeite­r, Menschen finden keine Arbeit: Darüber und über einiges andere sollte endlich sachlich gesprochen werden, meint der ehemalige ÖVP-Chef und Vizekanzle­r Erhard Busek.
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Foto: APA Busek: Auch Kirche hat moralische Verpflicht­ung.

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