Mut der Verzweiflung
Der Irak: ein vom Zerfall bedrohtes Land, im Krieg mit dem „Islamischen Staat“, der einen Teil des Territoriums kontrolliert, mit einer konfessionell und ethnisch gespaltenen Bevölkerung und Dritte-Welt-Lebensbedingungen, von grassierender Korruption bis zu kaputter Infrastruktur. Und der Premier der diesen Verhältnissen ohnmächtig gegenüberstehenden Regierung geht hin und kündigt tiefgreifende Systemreformen an.
Es ist der Mut der Verzweiflung, der Haidar al-Abadi antreibt. Die Proteste der vergangenen Tage an ganz unterschiedlichen Orten im Land – ausgelöst durch die Verschärfung des ohnehin stets akuten Elektrizitätsmangels – zeigen, dass zu den bestehenden offenen Konflikten schnell noch ein weiterer dazukommen könnte: ein sozialer. Die Iraker haben die Nase voll davon, dass die Ressourcen dazu verwendet werden, die Bonzen der jeweiligen Gruppen ruhigzustellen, die die Staatsämter und Ministerien als Pfründen ansehen und auch so verwalten. Und die mit ihren Leibwächtern über Privatmilizen verfügen.
Deshalb will Abadi den – von der US-Besatzungsmacht nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 eingeführten – Proporz abschaffen, der etwa dazu führt, dass auch die Stellvertreterposten an der Staatsspitze multipliziert werden müssen, für jede Gruppe ein Vizepräsident etc. Schnell wird es nicht gehen, denn manches, was er plant, greift in die Verfassung ein. Und so richtig es ist, so gefährlich ist es auch: Nicht alle werden friedlich in die Rente gehen.