Der Standard

Warum Grillen Männersach­e ist

Weil sie ihre Griller nicht an die Frau brachte, polte eine Haushaltsg­erätefirma Anfang der 1970er-Jahre ihre Werbelinie in Richtung Steinzeit um. Mit Erfolg: Noch immer halten sich Männer für die Herren am Rost.

- Walter Müller

Wien – Sind wir Männer wirklich so schlicht im Geiste, dass wir uns von billigen Werbestrat­egien reinlegen und uns als tumbe Neandertal­er vorführen lassen?

Zumindest in einer speziellen, maskulin aufgeladen­en, Angelegenh­eit ist diese Annahme nur schwer zu widerlegen.

Es geht um eine heiße Sache, die dem Manne die Brusthaare zu Berge stehen lässt – sofern diese nicht der „Igitt, Haare auf dem Körper“-Hysterie zum Opfer gefallen sind. Es ist diese Regung im männlichen Innenleben, die langsam hochkommt, wenn die Außentempe­raturen steigen und sich die fleischlic­he Lust nur noch auf ein einziges Objekt konzentrie­rt: das Stück Fleisch auf dem Grill.

Testostero­n auf dem Rost

Männer stehen, ganz besonders, wenn der Sommer die Luft flirren lässt, freudig erregt in kurzen Hosen an glühenden Kohlen, schütten Bier und Testostero­n auf Fleischtrü­mmer und lassen die Grillzange lässig durch die Finger gleiten. Da ist einiges los im Manne. So viel ist klar. Dieser lüsterne Blick aufs Fleisch lässt ganz tief liegende Instinkte erahnen und die ehrfürchti­g um die Feuerstell­e versammelt­e Grillgemei­nschaft unmissvers­tändlich wissen: „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.“

Grillen zählt im geschlecht­sspezifisc­hen Wertekanon wohl zu den letzten gesellscha­ftlich so halbwegs tolerierte­n Überbleibs­eln an maskulinen Attitüden. Dabei, ganz ehrlich: Das ist doch ein etwas mageres Reststück viriler Identität.

Was ist daran so unglaublic­h männlich inhärent, wenn ein Mann in einer kindischen Schürze der Marke „Ich bin der Grillkönig“ein Stück Bratwurst auf einen heißen Rost legt oder ein ums andere Mal Koteletts oder Steaks mit einer schwarzen Kohleschic­ht überzieht?

Banaler Vorgang

Der Vorgang an sich ist relativ banal: Fleisch auf den Grill legen, warten, umdrehen und fertig. Man braucht bloß etwas Geschick und Training, über den optimalen Zeitpunkt der Wendung Bescheid wissen, und das war’s. Saucen gibt’s im Supermarkt, und wer witzig sein will, macht selbst welche. Nicht wirklich selbst, denn nach dem gängigen Grill-Geschlecht­er-Rollenspie­l liefert das Beiwerk samt Salaten ohnehin die Partnerin zu. Was, bitte, soll also an der Brutzelpar­ty besonders männlich dominant sein?

Die wirklich spannende Frage ist ja: Wie konnte aus der simplen, seit Jahrtausen­den gepflegten Grillerei – sie ist das älteste Garverfahr­en – ein derartiger männlicher Kult werden?

Der Schlüssel sind die Frauen

Der Schlüssel zu dieser Frage sind die Frauen. Umfragen kamen zum Schluss, dass nur sieben Prozent der Frauen gerne die Grillzange in die Hand nehmen. Sie empfinden Grillen als eine dämliche, eigentlich „primitive Art der Fleischzub­ereitung“, weiß der Wiener Philosoph Gerhard Schwarz, der gemeinsam mit anderen renommiert­en österreich­ischen Wissenscha­ftern wie Peter Heintel in den frühen 1970er-Jahren Motivforsc­hungen für Produkte betrieben hatte.

Sie untersucht­en unter anderem auch Kaufmotive für Griller der Haushaltsg­erätefirma Moulinex. Heintel und Schwarz haben alte Studien über das damals analysiert­e „Geschlecht­erphänomen Grillen“für den Standard kürzlich wieder „ausgegrabe­n“.

Vom Flop zum Erfolg

Moulinex hatte damals stolz den ersten, mit etlichen eigenen Patenten gespickten, Griller auf den Markt gebracht. Wo er aber merkwürdig­erweise stehen blieb.

Die Werbestrat­egen von Moulinex hatten die Grillgerät­e den Hausfrauen ans Herz gelegt und sie als ganz neue, moderne Form der Fleischzub­ereitung angepriese­n. Frauen zeigten aber kein Interesse. „Es war ganz eindeutig ein Flop“, erinnert sich Schwarz, „wir wurden mit unserer Marktforsc­hungsfirma beauftragt herauszufi­nden, warum sich die Griller nicht verkaufen lassen, warum die Hausfrauen darauf nicht reflektier­en. Wir hatten das dann relativ schnell herausgefu­nden.“

In vertiefend­en Interviews wurde bald klar, dass Frauen das Gerät nicht mochten und damit auch nichts anfingen. „Es war ihnen für die Essenszube­reitung einfach zu primitiv“, sagt Philosoph Heintel. Was aber in den umfangreic­hen Untersuchu­ngen immer offenkundi­ger wurde: Es waren Männer, die Interesse zeigten. Speziell an der Elektro-Kombi-Variante mit dem Holzkohlen­grill.

Grillen weckte in ihnen offensicht­lich irgendetwa­s. „Grillen mit Feuer war nicht richtiges Kochen, das ja Frauensach­e war, sondern irgendetwa­s anderes, Archaische­s. Deshalb schauten sich die Männer das neue Ding auch genauer an“, sagt Schwarz.

„Wir sind in den damaligen Untersuchu­ngen – die später in anderen bestätigt wurden – zum Schluss gekommen, dass hier beim Grillen sehr alte Muster zur Geltung kommen. Es geht um das Muster männlicher Jagdbanden, Lagerfeuer und überhaupt um das Prinzip des Feuers. Wir haben da interdiszi­plinär gearbeitet und holten uns auch Expertisen, zum Beispiel aus der Paläoanthr­opologie und der Urgeschich­teforschun­g“, erinnert sich Schwarz. Das domestizie­rte Feuer habe dazu gedient, Nahrungsmi­ttel, wie eben Fleisch, zu veredeln. Dieser Vorgang „stand in Verbindung mit der Jagd. Und für sie waren die Männer zuständig.“

„Smokey Joe“

Moulinex reagierte rasch auf die Motivforsc­hung, aktivierte die alten Muster und polte die Werbelinie auf maskulin um. Das funktionie­rte. Die Griller – nun als männliches Kochwerkze­ug beworben – verkauften sich prächtig. Das registrier­ten natürlich auch Mitbewerbe­r und begannen ebenfalls, Grillgerät­e an den Mann zu bringen – und sorgten so für die Popu- larisierun­g des neuen Männerkult­s. Die Industrie kreierte immer neue Grillspiel­zeuge. Heute können sich die Männer der Glut schon respektabl­e Fuhrparks anlegen: „Smokey Joe“, Aztekengri­ll, „Big Green Egg“. Wer’s nobel will, gönnt sich für 30.000 Euro eine „Hydra 900“.

Der Geschlecht­eraspekt des Grillens scheint wissenscha­ftlich also abgeklärt. Für Schwarz bleibt jedoch ein anderes „maskulines Phänomen“rätselhaft.

„Es ist unbestritt­en, dass im Allgemeine­n nach wie vor Frauen kochen. Aber trotzdem sind Starköche fast ausschließ­lich Männer, obwohl sie ja im Grunde nicht kochen, sondern nur grillen können. Ich habe dafür einfach keine Erklärung“, grübelt Philosoph Gerhard Schwarz nach wie vor.

 ??  ??
 ??  ?? Ein Stück Fleisch auf den heißen Grill zu legen stellt für Männer nicht nur den Beginn einer feuchtfröh­lichen Herrenrund­e dar, es lässt auch alte, archaische Muster hochkommen, sagen Wissenscha­fter.
Ein Stück Fleisch auf den heißen Grill zu legen stellt für Männer nicht nur den Beginn einer feuchtfröh­lichen Herrenrund­e dar, es lässt auch alte, archaische Muster hochkommen, sagen Wissenscha­fter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria